Influencer Marketing

Buzzword, Mythos, Werkzeug oder Goldesel

Der Wandel der Mediennutzung schreitet weiter voran. Immer weniger Medienkonsumenten in aller Altersstufen akzeptieren vorgegebene Programmschemata, an die sie sich anpassen sollen. Warum auch? Nachrichten, Informationen, Wissen, Unterhaltung, Kommunikation, Konsum – alles wird zunehmend „on demand“ verfügbar und somit individuell an die persönlichen Vorlieben und Bedürfnisse adaptierbar.

Umso stärker der Medienkonsum personalisierbar wird, nach dem Motto „Wann, wo, von wem, über welchen Kanal und wie ich will!“, desto niedriger die Bereitschaft, sich in seiner neu gewonnenen Freiheit beschneiden zu lassen. Konsumenten haben eine Dissonanz gegenüber Werbebotschaften entwickelt, herkömmliche Werbeformen werden daher immer stärker als oktroyierte und störende „Unterbrecherwerbung“ empfunden.

Mentale und technische Hürden für klassische Werbung

Aus dieser mentalen Hürde folgt die technische: Bei Internetusern beliebte und von Medien und Vermarkten verhasste Softwaretools, sogenannte AdBlocker, verändern immer mehr den digitalen Werbemarkt. Mindestens knapp 20% der deutschen Internetnutzer unterdrücken laut BVDW, dem Bundesverband Digitale Wirtschaft e.V., mit ihnen bereits klassische Online-Werbung. Und sie können auf neue technische Lösungen zum Ausblenden von Anzeigen beispielsweise durch Smartphones, Router sowie Browser hoffen. Spätestens wenn sich Adblocker erwartungsgemäß auch mobil durchsetzen, wird Display-Werbung in durchaus kritischem Maße an Relevanz verlieren.

Kundenemanzipation und Shareconomy sind Treiber

Mehr als vollmundige Versprechungen der Werbebranche gelten ehrliche Meinungen, Bewertungen und Nutzererfahrungen anderer Konsumenten heute als Orientierung für den Kauf. Auch Trends und Prognosen über den zukünftigen Absatzerfolg von Produkten basieren heute vermehrt auf Kundeneinschätzungen, die den Ergebnissen von Experten mittlerweile qualitativ gleichgestellt werden. Insgesamt kann dies in quasi gemeinsamen Geschäftsmodellen mit den Konsumenten gipfeln, wenn auch die Finanzierung von Entwicklung, Produktion oder Vermarktung dieser Produkte über Crowdfunding durchgeführt wird.

Das verändert die Machtverhältnisse zwischen Werbern und Konsumenten. In unserem zunehmend von Shareconomy-Aspekten geprägten Ökosystem sind nicht mehr nur die Entscheidungen und Push-Aktivitäten von Unternehmen, die zum Teil schon dem Stalking nahekommen, sondern immer stärker die Pull-Aktivitäten der emanzipierten, also selbst entscheidungsfähigen und -willigen Kunden erfolgsentscheidend. Ein immer breiteres Spektrum der Wertschöpfung von Unternehmen wird heute und zukünftig von besonders interessierten, kompetenten, aktiven sowie im Idealfall loyalen Konsumenten über das Social Web beeinflusst.

No Story – no Glory!

Nicht zuletzt durch diese Entwicklung erhält Content-Marketing, auch hinsichtlich der Marketing-Budgets inzwischen, eine völlig neue Dimension. Ein Element dieser Marketing-Technik ist das sogenannte Influencer Marketing, das daher mehr und mehr insbesondere, aber nicht ausschließlich, mit dem Ziel der Steigerung von Markenbekanntheit, an Bedeutung gewinnt.

Was sind Influencer?

Influencer, also Beeinflusser, Meinungsführer, Meinungsbildner oder Multiplikatoren sind Personen, die auf Grund der Art und Weise, Intensität sowie der Inhalte ihrer Kommunikation und ihres Wissens sowie Ihres Ansehens und ihrer Bekanntheit, Beliebtheit, Präsenz sowie Reichweite als Experten und Meinungsbildner für bestimmte Themen und Zielgruppen angesehen werden können.

Benutzt ein Influencer etwa ein bestimmtes Produkt, besucht eine bestimmte Urlaubsdestination oder wohnt in einem bestimmten Ambiente, ist dies immer mit einer Aussage verbunden: Das gefällt mir. Ihre hohe Reputation sowie Glaubwürdigkeit übt daher einen besonderen Einfluss auf Konsumenten aus – auch ganz konkret auf Kaufentscheidungen.

Opinion Leader, oder auf Deutsch Meinungsbildner, waren für Unternehmen, für Werbung und deren Reichweite zweifelsohne schon immer von großer Bedeutung. Durch die Digitalisierung allerdings, ist die Zusammenarbeit deutlich wichtiger geworden, hat sich dieser Markt weiter professionalisiert und vervielfacht.

Was tun Influencer?

Influencer-Aktivitäten sind vorrangig Postings auf Social Media Kanälen, bestehend aus Texten, Fotos und Videos, in denen positive Meinungen, Kaufempfehlungen, Nutzererfahrungen und Lifestyle-Erlebnisse zu Marken, Unternehmen, Produkten und Leistungen geteilt werden. Reichweiten- und interaktionsstark wird kanalübergreifend direkt mit den Zielgruppen kommuniziert.

Blogs, einschlägige Foren und Websites dienen in aller Regel dazu, die eigenen Inhalte zu veröffentlichen, Suchmaschinen und insbesondere die viralen Effekte der sozialen Netzwerke meist, um jeweils kanalspezifisch ausgestaltet, auf sie aufmerksam zu machen. Wirklich erfolgreiche Influencer sind zumeist Reichweitenstars in mehreren sozialen Netzwerken, vor allem Instagram, Youtube, Snapchat, Facebook und Twitter.

Den Botschaften der von den Zielgruppen individuell und selbst ausgesuchten sowie bewusst verfolgten Meinungsmachern vertrauen die Konsumenten in aller Regel deutlich mehr als z.B. der Werbung oder Unternehmenswebseiten.

Infury-Sudie: Influencer Marketing aus Nutzersicht

Grundsätzlich dürfte jedem Marketer seit je her klar sein, was eine globale Nielsen-Studie 2015 wieder offenbarte: 78 Prozent aller Konsumenten vertrauen persönlichen Empfehlungen mehr als jeder anderen Werbeaussage. Den zweiten Platz belegen Verbrauchermeinungen im Internet (62%), gefolgt von Zeitungsartikeln auf Platz drei (61%). 

Die Studie „Bedeutung von Influencer Marketing in Deutschland 2017“ von der Beratungs- und Forschungsgruppe Goldmedia, beauftragt von der Influry GmbH, eines Berliner Plattformanbieters und Dienstleisters für automatisierte Influencer-Marketing-Kampagnen, bestätigt, aktualisiert und differenziert diese Information auf Basis einer Befragung von über 1.600 Online-Nutzern ab 14 Jahren. Die wichtigsten Erkenntnisse daraus lauten:

  • für 29 Prozent der Teilnehmer stellen Freunde und Kundenrezensionen die glaubwürdigste Quelle für Produktinformationen dar. Dies gilt insbesondere für die 14- bis 17-Jährigen, die mit einem Wert von 36 Prozent sogar gezielt nach Produktinformationen bei Influencern suchen.
  • durchschnittlich 26 Prozent der Teilnehmer nehmen Produktplatzierungen von Youtubern, Instagrammern und anderen Social-Media-Größen überhaupt wahr. Die Zahlen schwanken zwischen 37 Prozent bei den 14- bis 17-Jährigen, sogar 39 Prozent bei den 18- bis 23-Jährigen, 34 Prozent bei den 24- bis 29-Jährigen und auch bei den 30- bis 49-Jährigen sind es noch 23 Prozent.
  • 20 Prozent der 14- bis 17-Jährigen, 12 Prozent der 18- bis 23-Jährigen und 16 Prozent der 24- bis 29-Jährigen beantworten die Frage, ob sie schon einmal ein von einem Influencer beworbenes Produkt gekauft hätten, mit Ja. Bei den 30- bis 49-Jährigen sind es nur noch 7 und bei den Ü50 3 Prozent. Berücksichtigt man nur diejenigen User, die die Kaufempfehlung bewusst als professionelle Produktplatzierung von Influencern wahrnehmen, steigt der Wert auf 43 Prozent bei den 14- bis 29-Jährigen beziehungsweise 29 Prozent bei den 30- bis 49-Jährigen
  • 29% der Befragten gab an, dass Produktpräsentationen von Influencern im Internet für sie besonders glaubwürdig sind. Bei den 18- bis 23-Jährigen sind es 35 Prozent und bei den 14- bis 17-Jährigen sogar 41 Prozent. Im Glaubwürdigkeits-Ranking für Produktempfehlungen liegen Influencer damit, über alle Altersgruppen hinweg, hinter Empfehlungen persönlicher Freunde (63 Prozent) und Rezensionen und Kundenbewertungen auf Produktseiten (48 Prozent), aber deutlich vor Artikeln in Zeitungen und Zeitschriften (27 Prozent), vor Empfehlungen von Social-Media-Freunden (26 Prozent), vor klassischen Printanzeigen (12 Prozent) oder TV-Spots (7 Prozent).
  • 29 Prozent der Nutzer gaben an, dass sie vor allem das Gefühl genießen, durch den Influencer persönlich angesprochen zu werden.
  • Für 28 Prozent erleichtern überzeugende Erklärungen der Vor- und Nachteile und Empfehlungen die Entscheidungsfindung.
  • Die sympathische Ausstrahlung der Influencer (27 Prozent) und die unterhaltsame Präsentation der Produkte (15 Prozent) sind weitere wesentliche Gründe, warum Empfehlungen von Influencern, also Bloggern, YouTubern, Instagrammern & Co. die Nutzer in Deutschland überzeugen

Influry-Geschäftsführer Levin Vostell: "Aktuell wird viel über die Glaubwürdigkeit von Influencern diskutiert. Da Studien derzeit vor allem die Akzeptanz bei Marketingentscheidern oder das Verhalten der Influencer analysieren, haben wir bewusst die Nutzersicht in den Fokus gerückt. Insbesondere für junge Nutzer bringen Influencer neben viel Authentizität und Glaubwürdigkeit ebenso viel Inspiration für neue Marken und Produkte in den Werbemix. Aber: Glaubwürdigkeit ist ein sehr hohes Gut und schnell verspielt. Alle Beteiligten müssen damit sensibel umgehen."

Influencer Marketing wirkt – nicht nur bei Millennials

Die Influry-Studie belegt, dass Produktplatzierungen von Influencern in der Tat besonders auf Teens und Twens eine konkrete Wirkung haben, aber eben nicht ausschließlich.

Bei jungen Zielgruppen sind Bewertungsmaßstäbe, Markenloyalitäten und Kaufmuster noch weniger ritualisiert als bei älteren Usern. Darüber hinaus dürfte die Neigung, Influencer als wichtige und alltägliche Größe des soziokulturellen Lebens, als sogenannte „Role Models“ sowie Idole, einzuschätzen und deren Handlungsempfehlungen anzunehmen, ausgeprägter sein als bei gereiften Personen.

Wer sich über die Marktmacht von Bibi, Shirin Davis, Dagi Bee, Julienco, Caey Neistat und die diversen weiteren Instagram- oder YouTube-Stars echauffiert, die scheinbar unreflektiert für Produkte und Marken schwärmen, hat vermutlich vergessen, dass alle Generationen auf ihre jugendliche Art ihre Idole angehimmelt und imitiert haben. Mit den Profisportlern und Popstars unserer Zeit teilten wir damals zwar noch nicht die heutigen, mächtigen Online-Potenziale, aber bereits die überhebliche Kritik derer, die sich nur auf Grund ihres höheren Lebensalters für erwachsen, erfahren und wissend hielten. Diese Charaktere haben wir damals schon ähnlich ernst genommen, wie es heute unsere Kinder und Enkel tun.

Tatsache ist, dass sich Unternehmen und Marken, die auch in 10, 15 und mehr Jahren noch erfolgreich auf dem Markt sein wollen, die Zielgruppen ernst nehmen sollten, die dann, geprägt von ihren Jugenderinnerungen von heute, die maßgeblichen Kunden sein werden.

Die Studienergebnisse von Infury haben jedoch nicht Wenige überrascht. Denn die Schlussfolgerung der Marktforscher, dass Influencer-Marketing eben nicht nur bei Kids funktioniert, sondern in verschiedenen Altersklassen zu Erfolg führen kann, ist in dieser Konsequenz neu. Mehr Kaufbereitschaft bei den bejahrten Usern hervorzurufen stellt insofern eine besondere Herausforderung dar, als vor allem die passenden Influencer gesucht und gefunden werden müssen.

Ähnlich gilt das für den Bereich Business-to-Business. Es wäre überaus naiv zu glauben, professionelle Entscheider würden qua Fachkompetenz nur eigenständig entscheiden und sich nicht an Meinungsmachern orientieren. Wer schon mal versucht hat, die Einkaufskommission des einen großen Verbandes von einer wirklichen Produktneuheit zu überzeugen, ohne bereits die Kaufabsicht eines anderen großen Verbandes ansprechen zu können, weiß wovon ich rede. Gerade für angestellte Einkaufsmanager scheint oftmals Risikominimierung und nicht Chancenausschöpfung das zentrale Entscheidungskriterium zu sein. Entsprechend verweigert man sich einsamen und mutigen Entscheidungen, orientiert sich an Meinungsbildnern, Entscheidungen sowie Erfahrungen Dritter mit dem Ergebnis einer viel zu großen Gleichförmigkeit des Angebotes. Allerdings sind in der B2B-Welt die mit Meinungsbildung verbundenen Prozesse zumeist verschlungener, weniger öffentlich und orientieren sich mehr an Elementen klassischer Lobbyarbeit. Dennoch ist Influencer Marketing auch im B2B-Geschäft ein durchaus interessantes Werkzeug.

Influencer Marketing auf dem Vormarsch

Grundsätzlich ist Influencer Marketing im B2C-Segment längst auf dem Weg, sich im digitalen Marketing- und Kommunikationsmix zu etablieren. Zwar ringt die Branche noch um Standards und Markttransparenz, aber die Prognosen aus einer zugegebenermaßen kleinen und nicht repräsentativen Studie der Territory Webguerillas aus Juni 2016 dürften sich 2017 mehr als bewahrheitet haben. 100 mit Influencer Marketing be- und vertraute Marketing-Entscheider aus Deutschland bezeichneten vor 14 Monaten:

Influencer Marketing als die Disziplin mit der höchsten Glaubwürdigkeit. 57 Prozent sahen das neue Marketing-Instrument ganz vorne, noch vor der Öffentlichkeitsarbeit (54 Prozent) und klassischer Werbung (47 Prozent).

Rund 68 Prozent der Befragten wollen 2017 in Influencer Marketing investieren, knapp 58 Prozent mit etwa fünf bis zehn Prozent ihres gesamten Marketing-Budgets. Lediglich 16 Prozent wollten das Instrument zukünftig nicht anwenden, weitere 16 Prozent sich noch nicht festlegen. 

Longtail-Effekte in der strategischen Kommunikation

Influencer-Marketing steht übrigens nicht nur für jeweils aktuelle und nur kurzfristig zu bemessende kommunikative Aktivitäten. Gerade qualitativ hochwertige Blogbeiträge verzeichnen auch noch nach Jahren ihrer Veröffentlichung beachtliche Zugriffsraten und entfalten dadurch eine dauerhafte und nachhaltige Wirkung, übrigens auch zur Suchmaschinen-Optimierung und dem Google-Ranking. Dieser sogenannte Longtail-Effekt macht Blogger auch in der strategischen Kommunikation interessant.

Super User vs. Influencer

Gelingt es Unternehmen, besonders interessierte, aktive und kompetente Kunden als Akteure für sich zu gewinnen, spricht man von sogenannten Super Usern. Hintergrund ist das Phänomen, dass sich nach der sogenannten Nielsen-Regel lediglich 1% der User regelmäßig, 9% ab und zu und 90% nur passiv am Dialog im Social Web beteiligen.

Super User agieren in aller Regel aus einer intrinsischen Motivation heraus. Begeisterung, ein Verbundenheitsgefühl, vergleichbar zur Vereinstreue von Fußballfans und die Freude am Teilen sorgen für die Aktivitäten.

Monetäre Anreize sind verpönt, Super User legen zumeist ausdrücklich Wert auf Unentgeltlichkeit, erheben im Umkehrschluss aber oftmals hohe emotionale, manchmal nicht haltbare personalisierte Ansprüche an Ihre Marke. Ein kommerzielles Influencer Marketing ist somit, wenn überhaupt, nur eingeschränkt möglich beziehungsweise kann unter Umständen sogar kontraproduktiv wirken.

Influencer wissen im Gegenteil um ihren Status, ihren Einfluss und ihren kommerziellen Wert. Letzteres, also konkrete Geld- oder Sachleistungen gegen Content, ist auch zumindest ein ganz wesentlicher Antrieb für die klar geschäftliche Zusammenarbeit. Plumpe Kooperationsversuche, die keine adäquate Gegenleistung bieten oder auf getarnten Absichten und falschen Versprechungen basieren, forcieren Verstimmungen oder, schlimmer noch, Gegenwehr.

Testimonial vs. Influencer

Herkömmliche Stars, die ihre Bekanntheit über eigene künstlerische, sportliche, wissenschaftliche oder wirtschaftliche Spitzenleistungen aufgebaut haben oder deren Promi-Status mal mehr mal weniger grundlos medial gepusht wurde, profitieren oft auch von hohen SocialMedia-Reichweiten. Nur wenige allerdings verstehen es, diese professionell auszubauen und zu nutzen, bleiben daher nur als klassische Testimonials in der Werbung einsetzbar.

Influencer jedoch sind meist Personen, die aus ihren Kundenzielgruppen entstammen, viel Nähe bieten und allein beziehungsweise erst durch ihre hohe Aktivität im Web bekannt geworden sind. Sie sind Publisher, produzieren also eigene, relevante Inhalte für klar definierte Zielgruppen, positionieren sich um Informationen, Meinungen und Empfehlungen zu übermitteln, inszenieren sich, bemühen sich bewusst und mit der gebotenen Sensibilität um Glaubwürdigkeit, Authentizität und eine gute Beziehung zu ihren Fans sowie Followern, aber ebenso um eine professionelle Partnerschaft zu den Unternehmen. Sie sind sehr viel näher und erreichbarer für ihre Follower als irgendwelche Spitzenstars.

Vergleichbar ist das mit einem echten Musiker und Künstler, der sich durch eigene Komposition und Produktion positioniert, seine eigene, unverwechselbare Identität erschafft, pflegt und vermarktet. Dies hat eine völlig andere Qualität als beispielsweise eine Person, die bei vermarktbarer Optik halbwegs vernünftig singen kann und fremdgesteuert als Sänger nur so lange erfolgreich ist, wie irgendwelche gute Komponisten und Produzenten zu finden sind. Und die damit in letzter Konsequenz, wie annähernd jede Werbefigur, vollkommen austauschbar bleibt.

Erfolgsfaktor Personality

Ein entscheidendes Unterscheidungsmerkmal zu anderen Marketingtechniken ist beim Influencer Marketing somit auch der zumindest partielle Kontrollverlust. Denn Absender aller Botschaften ist grundsätzlich der Influencer, aus der Perspektive der Community als Privatperson, und in keinem Fall das Unternehmen oder die Marke. Erst in Verbindung mit dem einmaligen, durch den Influencer selbst auf- und verbreiteten Content, entsteht aus der besonderen Persönlichkeit, Individualität, Authentizität, Glaubwürdigkeit und Reichweite die neue Werbeform für die Marke. Scheinbar mit Leichtigkeit lösen die Werbebotschaften mit zielgruppengerechten Inhalten an die richtigen Konsumenten virale Trends und Hypes aus, ohne dabei künstlich oder aufdringlich zu wirken.

Gute Influencer schaffen es, die Communities zu berühren, zu involvieren und zur Beteiligung zu aktivieren. Aus Storytelling kann im besten Fall Storysharing werden, eine gemeinsame Geschichte von Influencer, Marke und Community.

Guten Influencer gelingt durch ihre authentische Nähe zur Zielgruppe und gemeinsame, relevante Werte, was meist nur sehr wenigen Marken vorbehalten ist – ROE zu generieren. Eben nicht nur Return of Investment, sondern Return of Engagement. Gemeinsame Werte, Themen und Geschichten motivieren das Publikum, sein wertvollstes Gut mit ihnen und vor allem der Marke zu teilen: ein möglichst großes Stück Lebenszeit und Lebensweg. Richtig gute Influencer machen daher weder sich noch die Marke zu Helden, sondern ihre Follower.  

Das funktioniert allerdings nur, wenn die eingeübten Pfade des klassischen Marketings verlassen werden und schon bei der Konzeption umgedacht wird. Unternehmen die beispielsweise mit vorgefertigten Botschaften, Inhalten oder gar Werbemitteln an Influencer herantreten, werden kläglich scheitern. Je werblicher eine Botschaft ausfällt, desto weniger authentisch und glaubwürdig wird sie. Influencer benötigen daher unbedingt den Freiraum, Botschaften so zu formulieren und auszugestalten, wie sie es auch sonst tun, wenn ihnen etwas gefällt.

Die Kunst des Influencer Marketings liegt also darin, eine gemeinsame Story auf Basis relevanter, spannender Inhalte zu entwickeln, die alle Beteiligten glaubwürdig inszeniert und involviert.

Influencer Marketing ist Kooperationsmarketing und auf beiden Seiten, für Influencer und Marke, in erster Linie für stark profilierte Persönlichkeiten geeignet, die auf Augenhöhe miteinander agieren und sich gegenseitig stärken. Ist die Dominanz allzu ungleich verteilt, wird eine der Persönlichkeiten – und neben der Authentizität ganz schnell die Glaubwürdigkeit – voraussichtlich leiden, und zwar öffentlich.

Die 4Rs

Unternehmen, die sich auf Influencer Marketing einlassen wollen, können sich als erste Grundregel an den 4 R’s als zentrale Merkmale eines Influencers von Prof. Dr. Heike Simmet, Expertin für Marketing-Digitalisierung an der Hochschule Bremerhaven, orientieren:

Reichweite

Eine hohe Eigenaktivität in Verbindung mit einer starken Vernetzung auf dem jeweiligen Interessensgebiet und daher ein hoher Verbreitungsgrad über virale Aktivitäten ist die erste Pflicht.

Relevanz:

Die Beiträge zeichnen sich durch eine hohe Relevanz für die jeweilige Community aus.

Reputation:

Die fachliche Qualifikation und das erkennbare Persönlichkeitsprofil eines Influencers weisen auf eine hohe Reputation hin. Hierbei spielen Vertrauen und Glaubwürdigkeit eine herausragende Rolle als Erfolgsfaktoren.

Resonanz:

Die Aktivitäten des Influencer erhalten eine hohe Anzahl Feedbacks.

Empfehlenswert ist, darüber hinaus die 6 Prinzipien der Beeinflussung von Robert B. Caldini, US-amerikanischer Psychologe und emeritierter Professor für Psychologie und Marketing an der Arizona State University anzulegen. Vor allem folgende Parameter stützen die Macht der Beeinflussung Dritter: Autorität (glaubwürdiger Experten-Status), Sympathie, Reziprozität (das Gefühl dem Influencer Etwas zu schulden), Konsistenz (Übereinstimmung mit dem eigenen Wertesystem), Konsens (Popularität der Empfehlung) und Verknappung (das Gefühl, von einem Insider einen „Geheimtipp“ zu bekommen).

Wie finde ich Influencer?

Das professionelle Engagement von Meinungsführern im Marketing kann erfolgreich sein, wenn Influencer mit Bedacht ausgewählt werden. Bei der Entscheidung sind neben quantitativen Kennzahlen, wie beispielsweise Reichweite und Resonanz der relevanten Zielgruppe, insbesondere qualitative Merkmale von Interesse. Sie kaprizieren sich in letzter Konsequenz auf die zentrale Frage: “Passt der Influencer zu Marke und Unternehmen?” Folglich muss bei der Auswahl die inhaltliche Ausrichtung, das Aktivitätenmuster, die Bildsprache und -qualität, sowie die Überzeugungskraft des Meinungsmachers innerhalb der Zielgruppe betrachtet werden.

Social Scoring - Bewertungssysteme für Influencer

Klout, der Name der 2008 gegründeten Unternehmung aus San Francisco, der von ihr betriebenen Plattform und des veröffentlichten Wertes, leitet sich aus dem englischen „clout“ ab und steht für politischen beziehungsweise sozialen Einfluss. Unter dem Stichwort Reputationsmessung wertet die Plattform laut eigenen Angaben über 12 Milliarden Social-Media Signale täglich aus. Sie ermittelt und bewertet auf dieser Basis vollautomatisiert anhand über 400 Kriterien und nicht-öffentlichen Algorithmen den Online-Einfluss eines Social-Media-Users, Person, Marke oder Unternehmen, mit einem Wert zwischen 1 und 100.

Zu den Kriterien gehören beispielsweise, wie viele Verknüpfungen man auf den Kanälen Facebook, Google+, Instagram, Twitter, Foursquare, LinkedIn, LastFM, Bing, WordPress, Wikipedia,TumblR, FlickR, Youtube oder auch Klout selbst hat. Wie viele Interaktionen entstehen durch eigene Aktionen und Reaktionen entstehen, beispielsweise wie häufig ein Beitrag geliked oder retweetet wird.

Je höher der Klout-Score, desto einflussreicher. Barack Obama und Amazon glänzen derzeit ungeschlagen jeweils mit einem Klout-Score von 99, eBay von 93, Justin Bieber von 92, IKEA von 86. Der Durchschnitt soll bei etwa 40 liegen.

Unter Klout for Business kann man auf eine Influencer-Liste, geordnet nach Themengebieten, zugreifen. Klout dokumentiert auch, wenn ein User sich öffentlich zu einer Marke bekennt oder zu speziellen Themen als wesentlicher Einflussnehmer auffällt. Influencer-Tracking wird so für Unternehmen vereinfacht.

Wer sich mit ernsthaft mit dem Gedanken beschäftigt, Influencer-Marketing professionell zu betreiben, sollte den Klout-Score kennen, ihn allerdings nicht überbewerten. Denn der Klout-Score bewertet unmittelbar lediglich die Quantität und nicht die Qualität der Posts. Mittelbar von der Quantität auf die Qualität zu schließen, birgt große Gefahren. Natürlich könnte man erwarten, dass qualitativ hochwertige Posts auch eine hohe Interaktionsrate nach sich ziehen. Leider gibt es aber eine erstaunlich hohe Zahl von Menschen, die ihr ereignisarmes Leben damit verbringen, auf ohne Sinn und Verstand gepostete Inhalte, beispielsweise Katzenbilder, ebenso zweckfrei, dafür aber in hoher Schlagzahl, zu reagieren. Das produziert zwar hohe Klout-Scores, steht aber nicht unbedingt für den von Ihnen gewünschten Einfluss.

Da Klout fast ausschließlich im englischsprachigen Raum misst und beispielsweise auch die in Deutschland starke XING-Plattform außer Acht lässt, ist er zwar interessant, aber nicht repräsentativ für die deutschsprachige Internet-Gemeinschaft.

Allerdings gibt es neben dem durchaus nicht unumstrittenen Klout-Score diverse Social Scoring-Modelle. Auch Google arbeitet an Systemen, besonders einflussreiche Personen aus sozialen Netzwerken identifizieren und einen Einflusswert innerhalb einer Community für ein bestimmtes Thema zu bestimmen. Erst in diesem Jahr wurde berichtet, dass Google diesbezüglich ein neues Patent angemeldet hat. Unter anderem könnte es das Ziel sein, einen solchen Influencer-Wert für die Berechnung von Rankings in den Suchergebnissen verwendet zu können.

Das Ubermetrics’ Media Intelligence Tool bietet die Bewertungsmöglichkeit von einflussreicher Autoren mit einem Viralitätswert. Die Metrik zeigt auf, welche Inhalte am meisten Interaktionen, also Kommentare, Retweets und Backlinks, hervorrufen und somit eine hohe organische Wahrnehmung versprechen.

Eine weitere, noch recht neue Methode den Wert eines Influencer zu bestimmen ist der Influencer-Score von Weber Shandwick. Acht Attribute - Status, Vorbildfunktion, Expertise, Glaubwürdigkeit, Kommunikation, Interaktion, Anziehungskraft, Gemeinsamkeit - die Influencer in verschiedenen Ausprägungen verkörpern, sollen dabei ermitteln, ob und unter welchen Bedingungen ein Influencer Einfluss auf eine Zielgruppe ausübt. Also wie effektiv ein Influencer ein gewünschtes Ziel für ein Unternehmen oder eine Marke erreichen kann. Dazu gehört die richtige Einschätzung, welches Wissen, welche Motivation und welchen Grad an Sicherheit beziehungsweise Unsicherheit eine Zielgruppe mitbringt.

Influencer haben die Fähigkeit, die Meinung oder das Verhalten einer bestimmten Zielgruppe zu beeinflussen, wobei der Erfolg eines Influencers in hohem Maße davon abhängt, wie die Zielgruppe dem Thema gegenübersteht.“, erklärt Julian Lambertin, Head of Strategy & Analytics von Weber Shandwick. „Mit dem Influencer Score können wir nun zeigen, dass Reichweite nicht gleichbedeutend mit Einfluss ist.

Zahlreiche weitere Tools und Plattformen bieten inzwischen verschiedene Bewertungssysteme, Such- und Networkingservices, aber auch Erfolgsmessung rund um Influencer und Blogger, teilweise auch spezifisch für ein definiertes soziales Netzwerk. Einige finden Sie im Footer dieses Artikels unter „Weiterführende Links“. Darüber hinaus gibt es inzwischen diverse Agenturen, die neben der Vermittlung von Influencern auch viele begleitende Leistungen in der Konzeption, Manahmenplanung und Erfolgsmessung anbieten. 

Trotz aller Scores, Tools, Plattformen und Dienstleister sollte insbesondere ein persönliches Gespräch darüber entscheiden, ob Influencer, Unternehmen beziehungsweise Marke und die anvisierten Zielgruppen wirklich zusammenpassen. Denn die Qualität der Beziehungen und vor allem der Beziehungspflege werden neben dem Content- und Aktivitäten-Konzept letztendlich über Erfolg oder Misserfolg entscheiden. Entsprechend sind Wertschätzung, Informationsaustausch, Kooperation und Kollaboration die wichtigsten Grundpfeiler einer erfolgreichen Zusammenarbeit mit einem Influencer.

Rechtliche Rahmenbedingungen

Die Grenzen zwischen Marketing und Schleichwerbung sind bei der jungen Marketingtechnik Influencer Marketing fließend und befinden sich teilweise in einer rechtlichen Grauzone.

Erst vor wenigen Tagen bekam die Drogeriekette Rossmann dies schmerzhaft zu spüren. Der gebuchte 20-jährige Instagram-Star mit über 1,3 Millionen Followern hatte mit dem Hashtag #ad, an zweiter Stelle von 6 Hashtags, auf die bezahlte Werbung hingewiesen. Das Oberlandesgericht Celle sah das Foto als Schleichwerbung und die Kennzeichnung als unzureichend - obwohl sich der Filialist nach eigenen Angaben strikt an die bis dahin aktuellen Vorgaben der Landesmedienanstalt gehalten hat. „Auf den ersten Blick“, so das Gericht, müsse erkennbar sein, dass es sich um bezahlte Werbung handle. Für jeden Fall der künftigen Zuwiderhandlung ist ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro fällig.

Rossmann und die Landesmedienanstalten haben das Urteil akzeptiert und ihre entsprechenden Leitfäden nach dem Urteil angepasst. Neben Instagram sind nun auch Betreiber anderer sozialer Netzwerke gefragt, ein rechtskonformes Kennzeichnungsmodell für die neue und erfolgreiche Werbeform einzuführen, um allen Akteure einen sicheren Rahmen zu verschaffen.

Buzzword, Mythos, Werkzeug oder Goldesel?

Das Fazit lautet: Weder noch. Influencer Marketing ist eine moderne, spannende und erfolgversprechende Marketingtechnik innerhalb des Content Marketings. Das Erfolgsgeheimnis besteht neben der richtigen Mischung aus strategischen Überlegungen, professionellen Konzepten, Fleiß und Mut insbesondere aus einem neuen Verständnis für den Kunden und seine Wünsche. 


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