Heimtextil-Blognachrichten
Gast-Beitrag: Grenzbereiche durch Mixed Reality ausloten

Experte: Smart glasses werden unsere Wahrnehmung nachhaltig verändern

Prof. Dr.-Ing. Roland Greule von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg schildert uns in einem aufschlussreichen Gespräch die Fortschritte in Richtung digitaler Zukunft. Welche Vorteile erhalten speziell Architekten durch den Einfluss von Virtual Reality und wieso hilft uns virtuelles Licht?

Finest Interior Award: Der Trend von VR- und AR-Applikationen nimmt stetig zu. Ab 2018 bieten Sie sogar einen Master in Digital Reality an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg an. Was kann man sich unter diesem Studium vorstellen?

Roland Greule: Der Studiengang Digital Reality ist ein Masterstudiengang im Bereich der Medieninformatik mit Schwerpunkten in den Themen Virtual Reality (VR), Augmented Reality (AR) und Mixed Reality (MR). Im ersten Studienjahr liegt der Schwerpunkt auf mathematisch-technischen Grundlagen und vertiefenden Fragestellungen zu den Themen digitaler Realitäten. Das zweite Studienjahr dient der Spezialisierung und der Findung eines Themas für die Masterarbeit im Rahmen eines großen Projekts und eines Forschungsseminars und, darauf aufbauend, der Masterarbeit. Vor allem die Projekte und das Forschungsseminar dienen dazu, sich in dem weiten Feld von AR/VR/MR eines Themas bzw. eines Problems anzunehmen und dies mit wissenschaftlichen Methoden zu lösen. Dabei ist auch der Bereich der Architektur ein sehr interessanter Forschungsbereich, insbesondere im Hinblick auf das breite Feld des Building Information Modeling (BIM), d.h. die Vorabvisualisierung ganzer Gebäude mit all ihren unterschiedlichen Gewerken.

In welchen Bereichen werden uns immersive Technologien in naher Zukunft noch überraschen?

Die Möglichkeit, Gebäude realistisch und zwar nicht nur fotorealistisch, sondern auch physikalisch korrekt darstellen zu können, und dies alles in Echtzeit. Dazu die Möglichkeiten, auch taktil bzw. mit Gestiksteuerung zu arbeiten, und das Ganze dann mit wirklichem 3D-Sound. Darüber hinaus wird die Besonderheit sein, sich mit mehreren Nutzern (auch weltweit verteilt) in einem virtuellen Raum zu treffen, zu diskutieren und Entscheidungen zu treffen. Das Ganze wird dabei nicht einfach sein, da es notwendig ist, die anderen Personen mit einem möglichst realistischen Avatar zu treffen, der auch die Mimik und, wenn möglich, die Emotionen zeigen kann, damit man auch wirklich das Gefühl der Präsenz in VR oder AR hat.

Berufsfelder, wie es in der Architektur der Fall ist, verändern sich durch diesen digitalen Trend. Worin sehen Sie hier die größten Chancen?

Die Vorplanung ganzer Gebäude mit allen Details wird ein sehr großes und umfangreiches Arbeitsgebiet der Architektur werden. Und natürlich der Umgang mit den ganzen VR/AR und MR-Techniken, sowie der sehr, sehr großen Datenmengen. Dazu werden in den nächsten Jahren Spezialisten gesucht, die dies beherrschen können. Die Besonderheit wird dabei sein, dass man all die Änderungen und Details in Echtzeit betrachten und verändern kann, was bisher eines der Probleme bei der Previsualisierung von großen, komplexen Gebäuden war. Damit können Problembereiche direkt visualisiert und besprochen bzw. abgestimmt werden. Man kann also sowohl vor der Bauphase als auch während der Bauphase Probleme erkennen, gemeinsam besprechen und Lösungen finden. Des Weiteren kann die Bauherrin bzw. der Bauherr sich im Vorfeld, aber auch während der Bauphase, die einzelnen Bereiche betrachten, sich in den Räumen virtuell bewegen und (eventuell) Materialien etc. auswählen oder verwerfen, wobei die Materialdarstellung in der Virtualität noch einige Probleme bereiten wird, da Virtual Reality die Besonderheiten von speziellen Materialoberflächen noch nicht perfekt simulieren kann.

Heute können zum Beispiel täuschend echte Licht-Umgebungen, die sich dynamisch über den Tag verändern lassen, mittels VR reproduziert werden. Das heißt, ein Kellerraum wird zu einem lichtdurchfluteten Wintergarten. Was wird in dieser Hinsicht noch alles möglich sein?

Wir können in Zukunft nicht nur das Licht virtuell in den entsprechenden HMD (Head Mounted Displays wie z.B, Oculus Rift oder der HTC Vive komplett verändern oder austauschen, sondern auch die Lichtfarben (eher wärmeres Licht, eher kühleres Licht), technisch definiert als Farbtemperaturen in Kelvin, einstellen und damit eine virtuelle Umgebung realisieren, die eher zum Relaxen einlädt oder eher aktivierend wirkt. Und es besteht die Möglichkeit, dieses Licht nicht nur anders zu gestalten, sondern auch farbiges Licht einzustellen. Dies alles in unserer virtuellen Umgebung, ohne dass es jemanden stört, aber genau zu der eigenen Stimmung oder Ästhetik passt.

In welchen Grenzbereichen werden wir uns in Zukunft in Bezug auf virtuelle und erweiterte Realität bewegen?

Die Zukunft geht in Richtung „smart glasses“. Das bedeutet, das Smartphone wandert in die Brille. Damit können wir in Zukunft die Informationen, die wir bisher auf den Smartphones lesen bzw. ablesen, mit Augmented Reality bzw. Mixed Reality verbinden. Google Glasses war ein Vorreiter, die Microsoft Hololens ist der konsequente nächste Schritt in diese Richtung und da wird es noch sehr, sehr viel Neues geben. Der Vorteil der „smart glasses“ ist der, dass wir nicht mehr, wie bisher, gebückt und mehr oder weniger starr auf ein Handy starren, sondern die Informationen werden uns in Augenhöhe präsentiert, so wie wir als Menschen auch die Umgebung betrachten. Bezüglich der Steuerung der Inhalte wird es auch eine ganze Menge an neuen Entwicklungen bezüglich taktiler Steuerung geben, ein Schwerpunkt des Human Computer Interface (HCI).

Zur Person

Roland Greule ist Professor für Beleuchtungs- und Lichttechnik an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW), Fakultät DMI (Design Medien Information), Department Medientechnik und Leiter des Lichtlabors.


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