Herausforderung Touchpoints

Mixed Reality, Touchpoint, Customer-Journey, Customer-Experience ... Nicht nur die Digitalisierung mit ihren technokratischen Begriffen schafft Verwirrung. Diverse Anglizismen aus dem Marketingumfeld verbessern nicht gerade das Verständnis für eines der wertvollsten Güter, das wir im Wirtschaftsleben kennen: den Kontakt mit interessierten Kunden. Touchpoints bezeichnen die massiv zunehmenden Kontaktchancen zwischen Unternehmen, Marken, Produkten und ihren Kunden. Diese in ihrer Vielfalt und Vernetzung erfolgreich zu managen, ist eine echte Herausforderung für Marketing und Vertrieb.

Unser Lebensraum ist eine komplexe Symbiose von realer und virtueller Welt geworden. Zunehmend verschmelzen Offline und Online auch in der Geschäftswelt zu der Mixed Reality, in der nicht mehr nur die Generation unserer Kinder und Enkel in völliger Selbstverständlichkeit lebt. 

Für diese Entwicklung war und ist der atemberaubende Siegeszug der mobilen Internetnutzung durch Smart-phones, Tablets und Phablets, mit für jeden intuitiv bedienbaren App-Oberflächen, wesentlicher Treiber. Nicht wenige Senioren, bis weit über 80 Jahre hinaus, erleben so ihren digitalen Frühling und nehmen interaktiv teil an einer spannenden, bunten und bequemen neuen Welt. Mit PC oder Notebook haben sie diesen erst jetzt einfachen Schritt, teilweise bis tief hinein in das Social Web, meist nicht gewagt.

Das Leben in der Mixed Reality hat die Art und Weise, wie wir denken, leben, kaufen und miteinander Geschäfte machen, für die große Mehrheit unserer Gesellschaft massiv verändert; für immer. Die Grenzen zwischen den früher strikt getrennten Kanälen verschwimmen und Verbraucher erwarten durchgängig, immer und überall ein gleichwertiges, kundenfreundliches Shoppingerlebnis.

Digitalisierung ist das Thema Nr. 1 im Handel

Der Prozess der digitalen Transformation ist inzwischen auch im mittelständischen Handel angekommen. War er bislang teilweise oft noch von Verunsicherung oder Angst geprägt, so rüsten die Unternehmer inzwischen auf breiter Front massiv technologisch auf. Die Scheu ist verloren, man will dem Kunden wieder auf Augenhöhe begegnen und ihm, eben auch digital, Einkaufserlebnisse bieten.

Websites, Online-Shops, Social-Media-Auftritte, E-Mail, Newsletter und Co. sind selbstverständlich geworden und ergänzen die bewährte Offline- und Print-Kommunikation. Man will den Kunden jedoch nicht mehr nur zu Hause oder mobil digital erreichen, sondern auch am Point of Sale. Verkäufer werden mit Tablets ausgestattet und damit in die Lage versetzt, jederzeit und überall aktuelle Produktinformationen oder tiefes Produktwissen abzurufen. Agilität und Interaktion bringen eine völlig neue Dynamik ins Spiel. Mit modernen digitalen Verkaufsassistenten können auf der Verkaufsfläche hochvariante Artikel in Sekundenschnelle konfiguriert, geplant und fotorealistisch visualisiert werden. Bildschirme in der Ausstellung bewerben die Produkte im direkten Umfeld, Touch-Terminals ermöglichen dem Kunden die umfassende Selbstbeauskunftung, quasi als „verlängerte Ladentheke“ sowie Vernetzung zum Online-Shop. Endverbraucher-Apps beinhalten Kunden-Loyalisierungsprogramme, Beacons unterstützen bei der Navigation im Möbelhaus oder aktivieren Begehrlichkeiten durch personalisierte Push-Angebote.

Integrierte interne und externe Kommunikation

Größte Herausforderung für das Marketing ist, Ideen, erfolgversprechende Strategien, überzeugende Konzepte und praktikable Maßnahmen zu entwickeln, die ebenso selbstverständlich alle Medienwelten integrieren wie die Menschen, die sie nutzen. Und die authentisch, also glaubwürdig sind und zu Unternehmen, Marke, Produkt oder Leistung passen. 

Marketing bedeutete schon immer, die sich ständig verändernden Bedürfnisse und Erwartungen der Kunden sowie anderer Stakeholder, also Interessengruppen, zu erkennen und zu erfüllen, indem alle Unternehmensaktivitäten an den Bedürfnissen des Marktes ausgerichtet werden. Ziel war und bleibt, einen aus Kundensicht relevanten Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Marktteilnehmern sicherzustellen.

Die 4 Ps

Produktpolitik (Product), Preispolitik (Price), Kommunikationspolitik (Promotion) und Distributionspolitik (Place) bestimmen den individuellen Marketing-Mix, also das Instrumentarium, um interne und externe Maßnahmen integriert aufeinander abzustimmen, sich optimal am Markt zu positionieren und vom Kunden als glaubwürdig wahrgenommen zu werden.

Beispielsweise Sortimentierung, Kollektionierung, Qualität, Service oder Verpackung bestimmt die Produktpolitik, während die Preispolitik ausreizt, welches Preis-Leistungs-Verhältnis die Kunden zu akzeptieren bereit sind. 

Die Kommunikationspolitik bemüht sich, den Kunden zur positiven Kaufentscheidung zu beeinflussen, und die Distributionspolitik gestaltet und optimiert den Vertrieb.

Viele Faktoren entscheiden letztlich darüber, wie attraktiv ein Produkt oder eine Leistung für einen Kunden ist. Der erfolgreichste ist: Begehrlichkeit zu wecken, indem man über die Erkenntnis des Kunden, wie und warum er davon profitiert, ein „haben wollen“ produziert.

Kontaktchancen, also Potenziale und Herausforderungen, werden zahlreicher

Klar ist, es braucht Chancen auf Kontakt zwischen Unternehmen, Marken oder Produkten einerseits und Kunden andererseits, um mit den kundenorientiert entwickelten Marketingmaßnahmen überhaupt auf Erfolgskurs gehen zu können. 

Und, eigentlich eine tolle Botschaft für den vermarktungsorientierten Handel, gerade diese Kontaktchancen, im modernen Marketingdeutsch „Touchpoints“ genannt, haben in unserer vernetzten Welt drastisch zugenommen; Kontaktchancen zu potenziellen Neukunden, zu aktiven Fans, zu loyalen Stamm- oder passiven Bestandskunden, zu kritischen oder gar verärgerten Ex-Kunden sowie zu bekannter- oder unbekanntermaßen Enttäuschten, die vielleicht abzuwandern drohen. 

Touchpoints sind heute überall, wo der Kunde, mobil und sozial vernetzt in der realen und virtuellen Welt auf Unternehmen, Marke und Produkte stößt. In seinem Kaufentscheidungsprozess bewegt er sich in der Mixed Reality zwischen ihnen hin und her, auch weit nach einer Transaktion. 

Touchpoints

Unmittelbare Touchpoints sind direkt vom Unternehmen beeinflussbare Kontaktchancen. Dazu gehören insbesondere sogenannte Owned Touchpoints, wie zum Beispiel der eigene PoS, das eigene Verkaufs- und Servicepersonal, die eigene Website, die eigene App, das eigene Produkt oder die eigene Kundenzeitschrift. Auch Paid Touchpoints gehören dazu, also vom Unternehmen durch Bezahlung steuerbare externe Touchpoints, wie beispielsweise Fernseh-, Radio-, Kino- oder Zeitungswerbung, externe Events und Sponsoring-Maßnahmen.

Zugegeben, Anglizismen verführen dazu, ein Thema schnell als „modisches Beratersprech“ abzutun, gerade im dafür stets verdächtigen Marketingumfeld. Aber andererseits, die deutschen Begriffe für „Touchpoint“, oder etwas älter Point-of-Contact (PoC), erscheinen nur bedingt passend: Ist Kontakt(punkt), oder erst recht Kunden-Schnittstelle zu emotionslos, droht Berührung(spunkt) gleichzeitig zu subtil, zu inhaltsschwer und zu intim zu wirken. Zumindest auf den ersten Blick, denn die Bedeutung mittelbarer Touchpoints, die ebenfalls quantitativ stark zugenommen haben, zeigt beim genaueren Hinsehen die Grenzen der unternehmerischen Steuerbarkeit deutlich auf. 

 

Moments of Truth

Von „Momenten der Wahrheit“ sprach bereits in den 1980ern Jan Carlzon, lange Jahre erfolgreicher CEO in einer höchstschwierigen Phase der SAS –Scandivian Airlines System. Er betrachtete Customer Touchpoints als erfolgskritische Situationen, in denen Marken- und Leistungsversprechen täglich neu, glaubwürdig und authentisch, eingelöst werden müssen. 

Kontaktchancen zur Wahrnehmung von Potenzialen für Umsatz und Ertrag durch Aufbau und Pflege von Kundenbeziehungen können sich, gerade in unseren stark von Social Media geprägten Zeiten, zu einem hoch emotionalen, kaum mehr steuerbaren Faktor entwickeln. 

Der Kunde erwartet einerseits die Einhaltung von Datenschutz, respektvoller Distanz und Wertschätzung. Andererseits schätzt er jedoch Interesse an seiner Person, auf seine Individualität zugeschnittene Angebote und Emotionen, die ihn einnehmen und begeistern, ihm sein ganz persönliches Einkaufserlebnis liefern. 

Google spricht hier von den „Zero Moments of Truth“ (ZMOT) und meint damit die unendliche Zahl an Likes, Bewertungen und Kommentaren, Tests und Rezensionen, Empfehlungen oder Best-Practise-Videos, deren gezielte Online-Suche heutzutage einer der erster Anlaufpunkte für die Entscheidungsfindung potenzieller Kunden ist. 

In Meinungs- und Bewertungsportalen, Foren und Communities, vor allem aber in den sozialen Netzwerken entstehen unendlich viele Touchpoints zu Unternehmen, Marken und Produkten beziehungsweise deren Botschaften. Sie bleiben jedoch zu einem weit überwiegenden Teil fremdgesteuert und werden getrieben sowie viral verbreitet von den positiven oder negativen Sentimenten der Verbraucher. „They may forget what you said, but they will never forget how you made them feel“, so Carl W. Buechner, US-amerikanischer Autor, bereits in den 1930er-Jahren.

Lob und Empfehlung oder Tadel und Rache

Nicht ohne Grund nennen Experten solche Kontaktchancen auch „Earned Touchpoints“, denn sie sind für Unternehmen und Marken nur mittelbar zu beeinflussen und ergeben sich, quasi als rückblickende Belohnung oder Bestrafung interpretierbar, weitestgehend aus dem in der Vergangenheit liegenden Umgang mit Interessenten und Kunden. Aber bekommt der Anbieter wirklich immer das, was er „verdient“? 

Hier wird oft besonders schmerzhaft  –und öffentlich – offensichtlich, wie emotional und damit fragil die Arbeit an Kundenbeziehungen sein kann. Loyale Kunden, die sich, im Gegensatz zu gebundenen Kunden, bewusst und freiwillig auf Nähe und Vertrautheit eingelassen haben, können und wollen auch das Kümmern und „wissende Verstehen“ des Anbieters ihres Vertrauens genießen. Kundenbeziehungen können faszinierend und einmalig sein, ein Unternehmen oder eine Marke enorm stärken. Aber wie alle Beziehungen können sie auch zermürben. Gerade wenn bei Launen oder nach negativen Erlebnissen eine Kleinigkeit, wie ein unbedachtes Wort, ein schräger Blick oder ein vergessener Jahrestag, ausreicht, um tiefe Krisen auszulösen. Oder eben die unklare Bedienungsoberfläche von Website, Online-Shop oder App, eine unbefriedigende Antwort vom Supportteam oder der unbedachte Kommentar der Facebook-Fanpage-Redaktion. Nie geht es brutaler zu, als wenn Liebe in Hass umschlägt. Das berühmte „Lass uns Freunde bleiben!“ bleibt auch im gewerblichen Umfeld leider meist nur ein unerfüllter Traum.

Touchpoint ist nicht gleich Touchpoint

Während die freundliche Bedienung in der Tankstelle beim Last-Minute-Einkauf am späten Montagabend mit einem gewinnenden Lächeln und einem lockeren Spruch doch noch eine positive Atmosphäre zaubert, kann dasselbe Montag frühmorgens, verspätet und unausgeschlafen beim Coffee-to-go-Kauf auf dem Weg zur Arbeit, unangenehm werden. Zu einem Zeitpunkt wird eine möglichst schnelle, einfache, wortlose und pragmatisch-orientierte Transaktion erwartet, zum einem anderen kann am identischen Touchpoint eine zwischenmenschliche Regung der Erfolgsfaktor für Kundenzufriedenheit sein. Zumindest für Kunde A. Für Kunde B, vielleicht Chirurg in der Nachtschicht, ist es allerdings genau anders herum; jedenfalls in dieser Woche.

Customer Journey

Der Kunde wandert von der ersten Inspiration über alle Phasen seines Kaufentscheidungsprozesses bis weit über die Transaktion hinaus in unserer Mixed Reality offline und online im Zick Zack über zahllose Touchpoints. Diese Wanderung, heutzutage Customer Journey genannt, kann, gerade bei der Entscheidung über eine langfristige Investition für Möbel und Einrichtungen, sehr viele unterschiedliche Kontakte beinhalten. Der Kunde sammelt an jedem Touchpoint Informationen, emotionale Eindrücke und Erfahrungen, auch die Dritter, die sich für ihn zu einem Gesamtbild, zu einer ganzheitlichen Erlebniswelt über alle Kontakte und Interaktionen mit einem Unternehmen oder einer Marke verdichten. Jeder einzelne Touchpoint prägt auf seine Art, auch in Abhängigkeit von den jeweils individuellen Erwartungen des Kunden, letztlich die Wahrnehmung, die Zufriedenheit und die Haltung zu Unternehmen beziehungsweise Marke. 

Customer Experience

Kunden betrachten ein Unternehmen immer als Ganzheit, ohne Trennung zwischen beispielsweise Marketing, interner und externer Kommunikation, Verkauf und Service oder Online, Offline, mobile oder social. Das moderne Marketing spricht von Customer Experience.

Jeder Touchpoint, jeder Mitarbeiter, jede Abteilung, jeder Bereich muss während der Reise des Kunden im entscheidenden Moment der Wahrheit auf das Unternehmen beziehungsweise die Marke einzahlen und perfekt, also jeweils kunden-, situations-, bedarfs- und mediengerecht, funktionieren. Denn das nächste Mitbewerber-Angebot ist stets nur einen Klick entfernt.

Das Management der Touchpoints konzentriert sich also darauf, alle Kundenkontakte so zu steuern und zu gestalten, dass der Kunde sie möglichst positiv bewertet und seine Reise weiterverfolgt. Jeder Touchpoint sollte den Kunden in seiner jeweiligen Situation abholen, ihn zufriedenstellen, überzeugend zum nächsten Touchpoint leiten und ihm in möglichst positiver Erinnerung bleiben. Jede ersparte Enttäuschung des Kunden ist ebenso ein Gewinn, wie eine zusätzlich erzielte Zufriedenheit oder idealerweise sogar generierte Begeisterung. Die nahtlose Vernetzung sowie ganzheitliche Betrachtung aller Touchpoints, insbesondere hinsichtlich der unterschiedlich denkbaren Customer-Journey-Szenarien, ist daher ein wesentliches Erfolgskriterium.

Customer Journeys sind Individual- und keine Pauschalreisen

Die Customer Journey eines Studenten, der eine möglichst günstige Schlafgelegenheit für das WG-Zimmer sucht und vermutlich noch 2–3 Jahrzehnte von gesundheitlichen Abwägungen entfernt ist, wird völlig anders aussehen als die einer jungen Familie, die eine neue Küche für ihr neues, auf 30 Jahre finanziertes Eigenheim sucht. Auch ein gut situierter, urbaner Manager, vielreisender Single, wird andere Kaufentscheidungswege für das neue Designersofa in seinem Loft nutzen als der Senior, der sich für seine betreute Wohnung einen Fernsehsessel wünscht. Und wiederum eine andere Reise über die vielen Touchpoints hinweg nimmt die kinderreiche Familie aus der ländlichen Kleinstadt, die einen günstigen Schuhschrank benötigt.

Sie alle nutzen mit Sicherheit zum Teil dieselben Touchpoints, wie z. B. die Unternehmens-Website, den PoS oder den Online-Shop. Aber sie tun dies zu unterschiedlichen Tageszeiten, in unterschiedlichen Phasen der Kaufentscheidung, in verschiedener Reihenfolge und mit jeweils verschiedenen Erwartungen. Und die Ergebnisse bewerten und gewichten sie unterschiedlich voneinander. Und darüber hinaus werden sie voraussichtlich weitere, ganz unterschiedliche Touchpoints nutzen – so wird der Student sich vielleicht von Empfehlungen auf der Facebook-Fanpage leiten lassen, während der Senior die umfassend informative Textanzeige in der Apothe-kenumschau als entscheidend wahrnimmt. Die junge Mutter wird vielleicht maßgeblich von der gesponserten TV-Kochshow inspiriert.

Die denkbaren Customer-Journey-Szenarien können, je nach Breite angepeilter Zielgruppen sowie angebotener Warengruppen und Produkte, enorm differieren. Dementsprechend ist eine der wichtigsten Herausforderungen, seine Kundenzielgruppen und ihre bevorzugten Kaufentscheidungsprozesse, also die wesentlichen Customer-Journey-Szenarien, kennenzulernen. Jeden Touchpoint innerhalb dieser Szenarien verbindet der Kunde mit bestimmten Erwartungen, auch diese sollte der Händler kennen.

Unterschiedliche Kundenerwartungen

Kunden haben vielfältige Erwartungen, ausgesprochene und unausgesprochene, die es für eine erfolgreiche Gestaltung von Produkten und Leistungen, für Service-, Kommunikations- und Interaktionsangebote zu berücksichtigen gilt. Sie haben in unterschiedlichen Lebenssituationen, also zum Beispiel an verschiedenen Orten, zu verschiedenen Tagen und Tageszeiten oder bei verschiedenen Anlässen unterschiedlichen Einfluss auf die Kundenzufriedenheit. Unterschieden werden:

Basisfaktoren

Dabei handelt es sich um für den Kunden als selbstverständlich vorausgesetzte Basisanforderungen, die entsprechend nicht explizit verlangt werden. Sie fallen erst auf, produzieren eine hohe Unzufriedenheit und schlagen negativ auf das Markenimage durch, wenn sie unerfüllt bleiben. Werden sie übertroffen, wird dies kaum bemerkt und in aller Regel nicht honoriert. Freundlichkeit und, zum Leidwesen vieler Facheinzelhändler, sogar Beratungskompetenz können Beispiele für derlei „Selbstverständlichkeiten“ aus Kundenperspektive sein.

Leistungsfaktoren

Das Erfüllen der vom Kunden ausdrücklich verlangten Leistungsanforderungen ist eine Pflicht. Die Nichterfüllung ist inakzeptabel und führt zu massiver Unzufriedenheit. Die Kür des Übertreffens hat positiven Einfluss auf die Kundenzufriedenheit, kann sogar das Markenimage beeinflussen und austauschbare Anbieter von einzigartigen trennen. Pünktliche Lieferung, flexible Problembehandlung oder Kulanz können solche Faktoren für den Kunden darstellen. 

Begeisterungsfaktoren

Übererfüllte Erwartungen, unerwartete Zusatzleistungen und Mehrwerte sowie neuartige und überraschende Erlebnisse sind der Stoff, aus dem Markenträume werden können. Sie führen zu einer nachhaltigen Differenzierung, zu Wettbewerbsvorteilen und schließlich im besten Falle zu Loyalität und Reputation. Solche prägenden Erlebnisse können beim Kunden auf allen Sinnesebenen entstehen und funktionaler oder emotionaler Natur sein. Es empfiehlt sich jedoch, niemals zu vergessen, dass dieser Faktor in positiver Hinsicht, also Begeisterung, ebenso funktioniert wie in negativer, also Enttäuschung.

Früher war alles besser und einfacher!

Aus heutiger Sicht schien die Aufgabenstellung des Marketings früher leichter; eher wenige Touchpoints in einer realen, durchgängig physisch erlebbaren Welt waren zu berücksichtigen: Neben dem persönlichen Kontakt am PoS gab es an dialogischer Interaktion kaum mehr als Servicemitarbeiter, Telefon, Briefpost und Fax. Über einen Leserbrief hinaus blieb die Kundenbeziehung eine nahezu intime Zweisamkeit, Mund-zu-Mund-Propaganda hatte eine eher regionale Bedeutung. Neben dem eigentlichen Produkt stellte im Weiteren fast nur die klassische Werbung mit Anzeigen, Plakaten, Prospekten, TV- und Radiospots und wenig mehr die Kontaktchancen zwischen Kunde und Unternehmen bzw. Marke her.

In unserer Mixed Reality ist die schiere Anzahl an Touchpoints drastisch gestiegen. Die immer und überall verfügbare Informationstechnologie stellt überall dort, wo die Kunden ihre Zeit verbringen, plötzlich Touchpoints her. Egal ob das Unternehmen diesen bewusst wollte und unmittelbar steuert oder auch nicht. 

Und jeder Touchpoint ist ein neuer Meilenstein, ein neuer „Moment-of-Truth“. Immer wieder entscheidet sich innerhalb der Customer Journey neu, wie es um die Differenzierung im Wettbewerb bestellt ist. Erfüllt der Anbieter die Erwartungen des Kunden? Gestaltet er Information, Kommunikation und Interaktion einfacher, schneller und bequemer als andere? Bietet er ein Erlebnis, berührt er emotional und bleibt in Erinnerung?

An jedem einzelnen Touchpoint muss sich der Anwender immer wieder neu gegen den jeweils besten direkten Mitbewerber durchsetzen. Der kann stationär oder digital unterwegs sein oder beides – Erfolg und Misserfolg bleiben damit jederzeit, bis zur letztendlichen Kaufentscheidung, immer nur diesen einen berühmten Klick entfernt. Diese existentielle Bewährungsprobe ist eine wesentliche Komponente des inzwischen alltäglichen, komplexen Geschäftslebens, die viele Händler überfordert und sei es nur durch den ausgelösten mentalen Druck.

Zentrale Fragestellungen lauten heute:

(1) elcher Kunde möchte zu welcher Zeit an welchem Ort in welcher Phase seines Einkaufsprozesses welche Touchpoints nutzen, mit welchen Anforderungen bzw. Erwartungen an Basis-, Leistungs- und Begeisterungsfaktoren?

(2) elche Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Touchpoints innerhalb welcher Customer-Journey-Szenarien können bei welchen Kunden welche Synergie- oder Kannibalisierungseffekte produzieren?

(3) elche Leistungsversprechen sowie Erlebnisse und damit Differenzierungsmerkmale sind wann, wo und in welcher Phase des Einkaufsprozesses welches Kunden wie erfolgreich?

(4) Auf welche Customer Journeys und welche Touchpoints konzentriert sich das Unternehmen im Hinblick auf welche Kunden?

(5) elche Reise zwischen welchen Touchpoints versucht das Unternehmen welchen Kunden mit welchem Ziel auf welche Art und Weise schmackhaft zu machen?

(6) elche unterschiedlichen Unternehmensbereiche und -abteilungen haben mit welchen Eigeninteressen welchen Einfluss auf welche Touchpoints und damit auf die Kundenbeziehung?

(7) ie lassen sich alle Mitarbeiter für den Markenbildungsprozess aus Kundenperspektive sensibilisieren und koordiniert einbinden?

Die Antworten sind immer unternehmensindividuell, denn Kundenerwartungen resultieren aus vielen Faktoren, nicht zuletzt auch aus der jeweiligen Positionierung, den abgegebenen Leistungsversprechen oder den angepeilten Zielgruppen des Anbieters. Und sie sind einem stetigen Wandel unterworfen. 

Fazit

Am PoS, wo idealerweise im persönlichen Kontakt Empathie menschlicher Akteure entscheidend bleibt, sind und bleiben Aufmerksamkeit, Einfühlungsvermögen sowie Sensibilität guter Verkäufer die wesentlichen Erfolgsfaktoren. Die Digitalisierung kann ihnen dort Raum und Zeit verschaffen, sich noch intensiver zu entfalten als je zuvor.

Andere, neue Touchpoints gilt es zu erkennen, aus Kundenperspektive zu erforschen und in den denkbaren Customer-Journey-Szenarien entlang der Kundenerwartungen mit Mehrwerten aufzuladen – funktional und emotional. 

Geliebt wird, wer es schafft, seine Kunden immer wieder neu zu überraschen sowie zu begeistern und ihnen Vorteile zu liefern, die jenseits des Käuflichen liegen. Wer Werte wie Zeit und Ruhe, Sicherheit, Vertrautheit und Geborgenheit oder Freiheit und Wohlbefinden liefert, der hat in aller Regel keinerlei Probleme, sich am Markt nachhaltig mit seinen Preisen durchzusetzen.

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