Der folgende MÖBELMARKT-Experten-Beitrag wird Ihnen von Anchor zur Verfügung gestellt. Form, Stil und Inhalt liegen allein in der Verantwortung des Autors Prof. Dr. Martin Hörmann. Die hier veröffentlichte Meinung kann daher von der Meinung der Redaktion oder des Herausgebers abweichen.
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Expertenbeitrag: Die Küchenbranche ist unter Druck
Nachfrage sinkt, Premiumsegment stabil
Die deutsche Küchenmöbelindustrie befindet sich – ähnlich wie die gesamte Möbelindustrie in Deutschland in einer tiefen Krise. Nach Angaben des Verbands der Deutschen Küchenmöbelindustrie sank der Umsatz in den ersten sieben Monaten des Jahres um 7,7% auf 3,4 Mrd. EUR. Bereits 2024 hatte die Branche deutliche Einbußen verzeichnen müssen. Nach Daten des Statistischen Bundesamtes brach der Umsatz im vergangenen Jahr um 6,5 % auf 5,7 Mrd. EUR ein. Besonders schwach entwickelte sich die Inlandsnachfrage mit einem Minus von 8,2 %.
Zu wenig Wohnungsneubau und Konsumzurückhaltung
Ein wesentlicher Belastungsfaktor für die Küchenmöbelindustrie ist der Wohnungsbau. Statt der eigentlich seitens der Politik geplanten 400.000 Wohneinheiten wurden 2024 nur 200.000 gebaut. Das ifo Institut erwartet bis 2026 einen Rückgang der Fertigstellungen um 35 %. Damit fehlen der Branche wichtige Nachfrageimpulse, da jeder Neubau erfahrungsgemäß zwei bis drei Umzüge mit entsprechenden Küchenkäufen nach sich zieht. Hinzu kommt eine schwache Verbraucherstimmung. Laut Branchenumfragen gingen die Auftragseingänge im Januar 2024 um 14 % zurück. Auch die Möbelindustrie insgesamt verzeichnete deutliche Verluste. Nach Angaben der Verbände VDM und BVDM sanken die Umsätze der deutschen Möbelhersteller 2024 um 7,4 % auf 16,4 Mrd. EUR.
Kein Einbruch im Hochpreis-Segement
In der Küchenindustrie zeigt sich ein starker Unterschied zwischen den Preissegmenten. Nach Daten des Marktforschers NIQ legte 2024 das Premiumsegment deutlich zu. Küchen mit einem Wert von mehr als 20.000 EUR verzeichneten ein Plus von 8,5 %. Dagegen brach das untere Preissegment bis 5.000 EUR um 7,1 % ein. Im Bereich von 5.000 bis 10.000 EUR lag das Minus bei noch 0,5 %. Der Durchschnittspreis einer Küche erreichte 2024 mit 11.567 EUR einen Rekordwert. Regional ist vor allem Ostwestfalen-Lippe betroffen. Laut dem Verband der Deutschen Küchenmöbelindustrie stammen 75 % der in Deutschland produzierten Küchen aus dieser Region.
Viele Küchen-Traditionsmarken verschwinden
Betroffen von der Krise war unter anderem die Traditionsmarke RWK Küchen (Löhne/Hiddenhausen) , seit über 100 Jahren aktiv. Das Unternehmen musste 2025 bereits zum zweiten Mal in zehn Jahren Insolvenz anmelden. Der Standort Löhne konnte nicht erhalten werden, rund 50 Beschäftigte waren betroffen. Die Produktion an diesem Standort wurde inzwischen eingestellt. Die Aufträge werden nunmehr in Hiddenhausen am Standort eines neuen Investors abgewickelt, die Marke RWK bleibt bestehen. Nach 60 Jahren Firmengeschichte endet 2025 die Traditionsmarke Allmilmö. Bereits mehrfach insolvent und zuletzt 2018 neu gestartet, konnte sich das Premiumunternehmen nicht gegen sinkende Nachfrage im Küchenhandel und einen schwachen Objektmarkt behaupten. Gesellschafter und Geschäftsführung beschlossen, die Produktion bis Jahresende zu beenden.
Ein prominenter Fall der Vergangenheit ist die ALNO-Gruppe aus Pfullendorf. Im Sommer 2017 stellte das Unternehmen mit rund 2100 Beschäftigten einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung. ALNO gehörte zu diesem Zeitpunkt zu den weltweit größten Küchenmöbel-Produzenten mit einem Umsatz von über 500 Mio. EUR. Im Zuge der Sanierung wurde ein Tochterunternehmen veräußert. Knapp vier Jahre später musste dann auch die Nachfolgegesellschaft „Neue Alno GmbH“ einen Insolvenzantrag stellen und in der Folge musste der Betrieb eingestellt werden. Wesentliche Schritte dieser ALNO-Krise hat Prof.Dr. Martin Hörmann von Anchor maßgeblich begleitet und er bekam dadurch einen tiefen Einblick in die Branche der deutschen Küchenmöbelindustrie
Wie Unternehmer in der Krise richtig handeln
„Krisen in Unternehmen entstehen selten über Nacht. Steigende Kosten, Kaufzurückhaltung der Kunden, verschärfter Wettbewerb oder strategische Fehler entwickeln sich oft schleichend – bis Liquidität und Handlungsfähigkeit akut gefährdet sind. Entscheidend ist, frühzeitig gegenzusteuern“, erklärt Prof. Dr. Martin Hörmann. Wer Probleme verdrängt oder auf eine schnelle Erholung hofft, verschlechtert seine Lage meist nur. „Erste Anzeichen einer fortgeschrittenen Krise sind sinkende Umsätze, zunehmende Preisnachlässe, steigende Lagerbestände oder das Ausreizen von Kreditlinien“, so Hörmann weiter. Unternehmer sollten wichtige Kennzahlen wie Umsatzentwicklung, Bankguthaben, Forderungen und Verbindlichkeiten mindestens monatlich analysieren und daraus verschiedene Prognosen ableiten. Ein strukturiertes Frühwarnsystem mit Szenarienrechnungen könne helfen, um Risiken zu erkennen, bevor sie existenzbedrohend werden.
Transparenz schaffen und Externe Expertise nutzen
Ein häufiger Fehler ist Schweigen. Mitarbeiter, Banken und Geschäftspartner verlieren Vertrauen, wenn Informationen fehlen oder Gerüchte die Runde machen. Wer offen über die Situation spricht, Unsicherheiten erklärt und Maßnahmen darstellt, gewinnt nach Ansicht von Hörmann Unterstützer statt Kritiker. Auch gegenüber Finanzierungspartnern ist Transparenz entscheidend: Nur ein plausibles Zahlenwerk schafft die Grundlage für neue Kredite, verlängerte Zahlungsziele oder Stundungen. „Viele Unternehmer unterschätzen die Komplexität einer Sanierung. Branchenerfahrene Berater, Sanierungsanwälte oder Interim-Manager können helfen, Maßnahmen realistisch zu planen und rechtssicher umzusetzen. Insbesondere in Familienbetrieben fehlt oft die notwendige Distanz, um schmerzhafte, aber notwendige Schritte einzuleiten“, erklärt Hörmann. Frühzeitige externe Unterstützung erhöhe die Erfolgschancen erheblich.
Geschäftsmodell anpassen
Eine Sanierung bedeutet nicht nur Kostenschnitt oder Personalabbau. „Ziel muss es sein, das Geschäftsmodell zukunftsfähig aufzustellen“, so Hörmann weiter. Sanierungen sind nicht nur Notmaßnahmen, sondern auch ein Neubeginn. Wer die Krise nutzt, kann Altlasten abwerfen und sein Geschäftsmodell anpassen. Auch in der Küchenmöbelindustrie eröffnen Nachhaltigkeit, Digitalisierung und innovative Vertriebswege neue Märkte. Flexiblere Mittelständler können hier ihre Geschwindigkeitsvorteile ausspielen.
Trotz vereinzelter Stabilität im Luxussegment bleibt die Lage für die Branche angespannt. Hoffnung gibt es durch sinkende Inflationsraten und steigende Reallöhne. Diese lassen eine leichte Belebung des Konsumklimas erwarten und verbessern damit die Aussichten auch für die größten Küchenmöbel-Produzenten.