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Rat für Formgebung

Der folgende MÖBELMARKT-Experten-Beitrag wird Ihnen von Rat für Formgebung zur Verfügung gestellt. Form, Stil und Inhalt liegen allein in der Verantwortung der Autorin Ulla Weismüller. Die hier veröffentlichte Meinung kann daher von der Meinung der Redaktion oder des Herausgebers abweichen.

Expertenbeitrag: Circular Design: Zweite Liebe

Um den Kreis zu schließen, müssen Produkte und Systeme nicht nur anders gestaltet, sondern auch Infrastrukturen und Services angeboten werden. Best Practice-Beispiele für Circular Design aus Mode, Elektrotechnik und Architektur.

Von Martina Metzner.

Schauen wir die vielen Diskurse und Publikationen an, so scheint: Wir sind auf dem direkten Weg zu einer Circular Economy. Doch die konkrete Umsetzung geht noch viel zu langsam voran, um den drohenden Umweltkollaps zu vermeiden. Allein durch politische Rahmenstrukturen wird die Wende nicht zu schaffen sein – es braucht ein gesamtgesellschaftliches Engagement, einen allumfassenden Kulturwandel. Aber es gibt Hoffnung: Es sind mehr und mehr, die an diesem Wandel arbeiten. Generation Greta macht es vor. Und die ältere Generation wird „enkelfreundlich“. Um zirkulär zu wirtschaften und zu gestalten, gibt es jedoch keinen Königsweg, kein Einmaleins. Jede und jeder betritt Neuland.

In vielen Branchen machen sich Vorreiter auf den Weg: Initiativen und Start-ups, die ganzheitlich auf Circular Design setzen, mittelständische Unternehmen, die seit eh und je verantwortlich wirtschaften, und große Unternehmen, die sich naturgemäß schwerer tun, ihre über Jahre aufgebauten linearen Lieferketten umzugestalten. Um den biologischen oder technischen Kreislauf zu schließen, müssen Produkte und Systeme nicht nur anders gestaltet, sondern auch Infrastrukturen und Services angeboten werden. Dazu unterscheidet man vom vertikalen Circular Economy-System, bei dem Materialien und Produkte direkt zum Hersteller wieder zurückfließen. Noch besser, so sagt Christoph Soukup vom Steinbeis-Beratungszentrum Circular Economy in Stuttgart, seien flächendeckende zirkuläre Systeme, an denen diverse Akteure beteiligt sind, was deutlich positivere Umwelt-Effekte hat. Man denke nur an die Erfolgsgeschichte des deutschen Mehrweg-Pfandflaschensystems, wofür beispielhaft die Perlenflasche von Günter Kupetz steht. Standard-Designs sind hier das A und O – stehen aber natürlich auch der liebgewonnen Individualisierung entgegen.

Pre-loved ist Modetrend

Die Modebranche hat sich verhältnismäßig früh mit Circular Design auseinandergesetzt, ist der Sektor doch Seismograf von gesellschaftlichen Strömungen. Seit einigen Jahren steckt sie in einer tiefen Krise. Viele Konsumentinnen und Konsumenten wollen die unmenschlichen Arbeitsbedingungen, Umweltverschmutzung und Wegwerfmentalität nicht mehr tolerieren. Seit rund zehn Jahren setzt man auf Textilrecycling, etwa auf recyceltes PET wie von Econyl oder, seit kurzem, auf recycelte Baumwolle etwa von Circulose. Doch Material zu recyceln ist nicht die effektivste Art, zirkulär zu wirtschaften. Denn Recyling ist oftmals Downcycling, der Energieaufwand ist verhältnismäßig hoch. Pre-loved heißt da die bessere Alternative: Viele große Labels und Händler steigen jetzt selbst in das Second Hand-Geschäft mit Wieder- und Weiterverwenden ein.

„Ob im privaten Leben oder in einem Unternehmen – die Frage nach Effektivität oder Produktivität ist nicht mehr so wichtig wie die nach der Sinnhaftigkeit“, sagt Svenja Bickert-Appleby. Mit ihrer Agentur New Order Design beraten die „aktivistische Unternehmerin“ und ihr Team von Wiesbaden aus Unternehmen hinsichtlich Innovations- und Gestaltungsfragen beim Circular Design. Mit „Kreiskraft“ hat sie dazu auch eine digitale Austauschplattform gegründet und arbeitet aktuell an einer digitalen Börse für Post-Production- beziehungsweise Dead-Stock-Textilien. Mit ihrem zirkulären Modelabel „Solostücke“ erprobt sie ganz real, wie Circular Design gelingt. Für ihre Kollektion verwendet die Designerin Restrollenstoffe von Textilproduktionen, aber auch ausgediente Kleidung. Genäht wird in einer kleinen Lohnnäherei in Chemnitz. Die „Solostücke“ kann man auch wieder zurückgeben oder reparieren lassen. Der Impact von Solostücke und ähnlichen Labels ist zunächst natürlich überschaubar. Doch sie sind relevante Impulsgeber.

Modulare Smartphones leben länger

Auch im Elektronikgeräte-Bereich sind schnell wechselnde Trends und Innovationen Grund für wachsende Müllberge. An der Spitze der Entwicklung stehen Smartphones. Im Schnitt werden laut Öko-Institut für angewandte Ökologie in Deutschland Smartphones, die neben Metallen, Glas und Plastik auch aus seltenen Erden bestehen, gerade mal 2,5 Jahre genutzt. Wenn Konsumentinnen und Konsumenten allerdings das Smartphone länger nutzen wollen, scheitern sie oft, denn plötzlich ist es nicht mehr mit neuen Updates oder Speichererweiterungen kompatibel. Um Lebens- und Nutzungsdauer zu erhöhen, bieten sich Geschäftsmodelle mit Reparieren, Wiederverwenden oder Aufarbeitung an.

Neben dem dynamisch wachsenden Markt von gebrauchten Smartphones gibt es auch zunehmend mehr Geräte, die von vorneherein langlebig gestaltet sind. Etwa das Shift Phone, das ähnlich dem Fairphone aus den Niederlanden aus modularen Komponenten besteht und das man selbst leicht reparieren oder aufrüsten kann. Ist das Produkt dann irgendwann irreparabel, kann man es einsenden und erhält einen Teil des Kaufpreises erstattet. Wie hier liegt auch bei vielen anderen zirkulären Geschäftsmodellen der Fokus nicht auf dem Verkauf, sondern auf der gesamten Produktnutzungs- und Lebenszyklusphase. Ein weiteres Konzept der Kreislaufwirtschaft ist, dass Unternehmen „Product as a Service“ anbieten, hier bleibt das Produkt im Eigentum des Anbieters und geht nach der Nutzung an ihn zurück. Einer der Vorreiter für dieses Modell ist Philips, die seit 2016 Licht gegen Gebühr verleihen, was gleichsam auch die Wartung beinhaltet. Voraussichtlich wird dieses Konzept neben dem Sharing-Modell, bei dem Nutzerinnen und Nutzer sich Objekte teilen, in den kommenden Jahren deutlich zunehmen.

Kommunikation wird zirkulär

„Was hat digitales Service Design mit Circular Economy zu tun?”, hat sich Peter Post von Scholz & Volkmer gefragt. Schnell hat der Designer festgestellt: Sehr viel! Durch Circular Design entstehe ein neues Verhältnis zwischen Konsumentin und Konsument und den Produkten respektive den Unternehmen: Dann, wenn die Konsumentinnen und Konsumenten das Produkt ausleihen, wenn sie es reparieren lassen müssen, wenn sie es wieder zurückbringen, weil es ausgedient hat. Wie macht man dieses neue Nutzungsverhalten, diese neue Beziehung attraktiv, wenn man auch noch dafür zahlen muss?, fragt sich das Team der Agentur für digitale Markenführung mit Fokus auf Nachhaltigkeit, das auch die alljährlich stattfindende see-Conference organisiert. Post spricht von „Circular Communication“ und „Circular Experience Design“. Und sagt: „Auch wenn Produkte durch Internet-of-Things miteinander verbunden sind, werden Kommunikation mit Kunden und Service Design in einer Circular Economy einen hohen Stellenwert einnehmen.“

Weiterbauen in der Architektur

Auch die Baubranche steckt mitten in der Transformation. Sie ist für den größten Energie- und Materialhunger weltweit verantwortlich und produziert die üppigsten Müllmengen. Das bekommt sie aktuell hart zu spüren. So werden etwa Baumaterialien wie Holz oder Sand (für Beton) knapp, verteuern sich enorm. Was wiederum dazu beiträgt, dass die Wohnungsmieten steigen. Ein Teufelskreis. Unter dem Hashtag #Bauscham mehren sich die Stimmen von Planerinnen und Planern, allen voran von der Initiative Architects for Future, die fordern, dass man nicht mehr neu bauen, sondern sich mehr um den Bestand kümmern soll. Für Architektinnen und Architekten heißt das Umdenken. Erst wenige wie Arno Brandlhuber, Eike Roswag-Klinge oder Insitu zeigen, dass die neue Umbaukultur auch gestalterisch eine spannende Aufgabe sein kann.

Ganz ohne neu Bauen geht es natürlich nicht. Doch auch hier muss sich viel ändern. „Wir sind die Hauptverursacher der Klimakrise und der Ressourcenknappheit“, sagt Vanja Schneider, der gemeinsam mit der Landmarken AG in Hamburg das erste Wohngebäude nach dem Cradle to Cradle-Prinzip entwickelt. „Wenn ich heute ein Gebäude bauen will, hätte ich gerne eine Antwort zur Rücknahme der verbauten Produkte und Materialien“, sagt Schneider. „Knallhart“ achten sie zusammen mit den Architektinnen und Architekten von Kadawittfeld bei der Entwicklung von „Moringa“ auf die CO2-Bilanz des Gebäudes. 70 Prozent der Konstruktionsbauteile und Materialien seien rezyklierbar, betont der Moringa-Macher. Auch der Stahlbetonskelettbau unterstütze das Konzept der Kreislauffähigkeit: Lediglich die Treppenhauskerne und die Decken sind tragend, so dass sich von der Außenwand bis hin zum kompletten Innenraum alles flexibel und unkompliziert umbauen lasse. Für den Beton nehme man Recycling- oder Ökobeton. Bei letzterem sind die Zuschlagstoffe CO2-reduziert.

Im Moment schaue man stark auf Leuchtturmprojekte wie The Cradle in Düsseldorf, Moringa in Hamburg oder das Recyclinghaus von Cityförster in Hannover, bis das aber in die Breite der Bauprozesse komme, dauere es aber noch, so Johannes Stiglmair von TRNSFRM, die aktuell mit den Zusammenarbeitern und LXSY Architekten das „IMPACT HUB BERLIN X CRCLR HOUSE“ in Berlin nach zirkulären Prinzipien aufstocken. Die Vision des Sprechers des Bündnis Bau & Architektur der NGO Cradle to Cradle: „Wir wollen Gebäude und Städte so bauen, dass sie nicht nur klimaneutral sind, sondern einen positiven Einfluss auf die Umwelt haben.“

 
Dieser Beitrag erschien zuletzt auf ndion.de, der Content-Plattform der Rat für Formgebung, die Inhalte aus dem Spannungsfeld Design, Marke und Innovation vermittelt.

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