Der folgende MÖBELMARKT-Experten-Beitrag wird Ihnen von Rat für Formgebung zur Verfügung gestellt. Form, Stil und Inhalt liegen allein in der Verantwortung der Autorin Ulla Weismüller. Die hier veröffentlichte Meinung kann daher von der Meinung der Redaktion oder des Herausgebers abweichen.
Expertenbeitrag: Der Dreiklang aus Design, Marke und Innovation
Innovation ist weit mehr als glücklicher Zufall. Die Entwicklung erfolgreicher Produkte basiert vielmehr auf dem Wissen um die zentrale Bedeutung – und Korrelation – der folgenden drei Säulen: Design, Marke und Innovation. Das richtige Zusammenspiel dieser drei Faktoren ist entscheidend dafür, ob ein Produkt Erfolg hat oder völlig scheitert.
Von Lutz Dietzold
Innovationen werden häufig einem glücklichen Zufall zugeschrieben, wie die Entdeckung von Röntgenstrahlen, Penicillin oder Post-its. Dadurch kann die falsche Erwartung entstehen, dass aus jeder Erfindung eine Innovation wird und dass man nur das Glück einer schicksalhaften Fügung braucht.
Aber wir alle wissen, dass dem nicht so ist. Eine Erfindung ist der reine Akt, durch den etwas Neues geschaffen wird. Erst wenn eine Erfindung in eine als Produkt oder Dienstleistung zugängliche Form übertragen wird, haben wir es mit einer Innovation zu tun. Und diese Übertragung birgt nicht nur eine große Wahrscheinlichkeit des Scheiterns, sondern schlägt sogar tatsächlich in den allermeisten Fällen fehl. Daher ist für Innovationen mehr als nur Erfindungsreichtum nötig. Und vom glücklichen Zufall profitiert nur der Erfinder.
Die gute Nachricht ist: Sobald eine Innovation Erfolg hat, steigt ihre Akzeptanz exponentiell und nimmt immer mehr an Fahrt auf. Während es beim Auto noch 45 Jahre dauerte, bis es von 60 Prozent der Bevölkerung akzeptiert wurde, benötigte das Smartphone nur fünf Jahre, um sich durchzusetzen. Denken Sie an die innovativen Geschäftsmodelle von Airbnb und Uber, die innerhalb weniger Jahre ganze Branchen revolutionierten. Somit stellt sich eine wichtige Frage: Wenn Innovationen kein Zufall und aus unternehmerischer Sicht sehr erstrebenswert sind, wie werden Ideen dann in Innovationen umgewandelt?
Design, Marke und Innovation
Der Schlüssel zum Erfolg liegt in einer hinreichend belegten und höchst komplexen Wechselbeziehung zwischen vielen Faktoren, auch wenn es kein Patentrezept gibt. Meiner Meinung nach sind besonders zwei Antriebskräfte hervorzuheben: Design und Marke. Zusammen mit Innovationen bilden sie die drei Schwerpunkte unserer Arbeit beim Rat für Formgebung.
Ich empfehle nachdrücklich, auf diesen Dreiklang hinzuarbeiten, weil die Kombination dieser drei Aspekte eine optimale Ausgangsposition, den so genannten „Sweet Spot“, für den Erfolg eines Produkts oder einer Dienstleistung auf dem Markt bildet. Natürlich können es auch Produkte ohne Sweet Spot schaffen, aber dieses Vorgehen bringt einige Nachteile mit sich:
Die Verbindung von Innovation und Design scheint sehr attraktiv, ist jedoch wertlos ohne eine starke Marke im Hintergrund, die die beworbenen Produktmerkmale unterstützen kann. Ein tolles Design und eine starke Marke sind zwar für Markenliebhaber attraktiv, aber auch deren Begeisterung wird nur so lange anhalten, bis diese Merkmale veraltet sind. Und schließlich ist auch die Innovation einer bekannten Marke ohne echtes Designkonzept zum Scheitern verurteilt, weil ihre Nutzung keinen Spaß macht.
Es gibt auch Beispiele aus der Praxis, die die Bedeutung des Dreiklangs deutlich machen. So hat die bekannte Sportmarke Nike 2012 das Nike+ FuelBand eingeführt – eines der ersten seiner Art. Aber Nike fehlte die Markenkraft, um die Kunden von seiner Technologiekompetenz zu überzeugen. Zwei Jahre nach der Einführung musste Nike das Experiment beenden. Heute befindet sich dieser Markt in der Hand der Tech-Unternehmen.
Dagegen kann eine Marke wie Tesla, die dafür bekannt ist, SEHR innovativ zu sein – auch dank Elon Musk, dem Gründer von PayPal und SpaceX – technologische Probleme kompensieren. Tesla fliegen die Herzen seiner Kunden zu, auch wenn das Unternehmen mehr Probleme als andere Autobauer zu verzeichnen hat. Wie wichtig die richtige Marke ist, wird an diesem Beispiel deutlich.
Dann gibt es natürlich noch das Design. Ein Beispiel dafür, wie viel mit einem schlechten Design schiefgehen kann, ist das Nokia N-Gage: Das Gerät wurde aufgrund seines speziellen Designs als „Tacophone“ bekannt. Nokia, Marktführer für Mobiltelefone in den frühen 2000er Jahren, wollte in den Markt für Handheld-Konsolen einsteigen, der von Nintendo mit dem Game Boy Advance dominiert wurde. Ergebnis war ein schlecht funktionierendes Mischprodukt, das sich nicht lange halten konnte. Angesichts des heutigen Markts für mobile Spielkonsolen mit einem Wert von etwa 50 Mrd. Euro war dieser Fehlschlag offensichtlich nicht darauf zurückzuführen, dass die Nachfrage falsch eingeschätzt wurde.
Benutzerfreundlichkeit ist entscheidend
Ich empfehle dringend, stets den Benutzer in den Mittelpunkt des Innovationsprozesses zu stellen. Design Thinking und offene Innovation sind zwei Methoden, die bei der Vermeidung typischer Fehler helfen können. Beide beziehen den Benutzer beim Entwicklungsprozess von Produkten und Dienstleistungen ein, um ein benutzerfreundliches Design zu gewährleisten. Und Benutzerfreundlichkeit kann einer Innovation einen enormen Schub verleihen!
Gut getestetes User Design, wie beispielsweise Spotify, wirkt sich unmittelbar auf den Ertrag aus. Spotify ist erfolgreicher als Amazon Music, obwohl Amazon über praktisch unbegrenzte Ressourcen verfügt. Dafür gibt es mehrere Gründe, aber unter anderem ist Spotify viel benutzerfreundlicher als Amazon, was durch den Net-Promoter-Score für beide Apps bestätigt wird.
Ein weiteres Design, das sich immer größerer Beliebtheit erfreut, ist die Übersetzungssoftware DeepL des gleichnamigen Kölner Startups. Mithilfe von Algorithmen und künstlicher Intelligenz wurde der Übersetzungsdienst zu einem ernstzunehmenden Konkurrenten für Google Translate, auch wenn die Finanzkraft der beiden Unternehmen ähnlich weit auseinanderklafft wie bei Spotify und Amazon. Bei einer wissenschaftlichen Blindstudie mit Übersetzungsexperten konnte DeepL nicht nur Google Translate sondern auch Microsoft Translator und den Facebook Übersetzer hinter sich lassen.
Der perfekte Sweet Spot
Wenn nun bekannt ist, dass Design und Marke eine große Bedeutung für den Erfolg eines Produkts haben, stellt sich die Frage, was passiert, wenn alle drei Aspekte – Innovation, Design und Marke – zusammenkommen? Daraus resultieren bahnbrechende Erfolge, wie beispielsweise die Einführung der Wii-Konsole durch Nintendo im Jahr 2006. Innovatives neues Gameplay, Controller mit speziellem Design und Spiele, bei denen der Spieler im Mittelpunkt des Erlebnisses steht. Erstmals übertrug eine Mainstream-Spielekonsole die Bewegungen der Spieler direkt in das Spiel. Und diese Neuheit stammte zudem von einem der bekanntesten Spieleentwickler der Welt: Nintendo. Der Dreiklang aus Innovation, Design und Marke in Reinform. Der Markterfolg ist legendär.
Dieser Erfolg war jedoch keineswegs ein einmaliger Glücksgriff. Nintendo konnte diesen Erfolg knapp zehn Jahre später noch einmal wiederholen. Die Nintendo Switch war ein weiterer Volltreffer: das erste Mobilgerät, das auch als klassische Konsole in Verbindung mit einem Fernseher oder als Handgerät mit einer Zwei-Spieler-Option verwendet werden konnte. Diese Erfolgsgeschichte basiert auf demselben Muster wie die Nintendo Wii.
Eine eher praxisorientierte Software kann einen ähnlichen Erfolg vorweisen: „S/4Hana“ (High-Performance Analytic Appliance) ist die meistverkaufte Software von SAP und die In-Memory-Version der früheren ERP-Plattform Business Suite. Dank ihrer Benutzerfreundlichkeit und der Fähigkeit zur Verarbeitung großer Datenmengen gehört HANA zu den führenden Tools und wird von Unternehmern aller Branchen eingesetzt. Mit ausgefeilten und benutzerfreundlichen Business-Anwendungen wurde SAP zu einem globalen Anbieter von Systemen für unternehmensweite Ressourcenplanung (ERP) und gehört zu den weltweit größten Softwareunternehmen.
Ein weiteres Produkt, das im wahrsten Sinne des Wortes den Sweet Spot traf, sind die Gummibärchen. Seit ihrer Erfindung durch den Süßwarenkonzern Haribo vor fast einem Jahrhundert erfreuen sich die farbigen Bären einer großen und ungebrochenen Beliebtheit. Verschiedenen geformte Süßigkeiten auf Gelatinebasis wurden zwar schon früher erfunden, in Verbindung mit dem reizvollen Design und der starken Marke traten die Bärchen jedoch einen weltweiten Siegeszug an und wurden seitdem oft kopiert. Um den Erfolg seines Flaggschiffs auch bei sich ändernden Marktanforderungen sicherzustellen, entwickelt Haribo das Design ständig weiter und begann beispielsweise 2007 mit der Verwendung natürlicher Farbstoffe, die aus Frucht- und Gemüsesäften gewonnen wurden, um der wachsenden Nachfrage nach natürlichen Inhaltsstoffen zu begegnen. Der Erfolg ist offensichtlich: Heute sind Haribo Gummibärchen ein Synonym für Fruchtgummi.
Auch wenn diese Beispiele eindrucksvoll zeigen, wie eine starke Marke einem innovativen Produkt zum Erfolg verhelfen kann, so gilt natürlich auch der Umkehrschluss: Der Wert einer Marke steigt, wenn sie als innovativ wahrgenommen wird, da die innovativsten Marken stets die wertvollsten sind. Neben der Innovationskraft spielen dabei natürlich noch viele andere Aspekte eine Rolle – glücklicher Zufall gehört jedoch nicht dazu.
Der Autor: Lutz Dietzold
Geschäftsführer Rat für Formgebung
Lutz Dietzold (*1966) ist seit 2002 Geschäftsführer des Rat für Formgebung. Zuvor war er selbstständig in der Designkommunikation tätig und verantwortete als Geschäftsführer des hessischen Designzentrums die strategische Neuausrichtung der Designförderung.
Fundiert auf seinem Studium der Kunstgeschichte, Klassischen Archäologie und Germanistik in Frankfurt hat Lutz Dietzold langjährige Expertise in den Bereichen Design, Marke und Innovation. Sein Augenmerk gilt zudem der Förderung von Design und Designnachwuchs. Seit 2011 ist er Beiratsmitglied der Mia-Seeger-Stiftung und Mitglied im Vorstand der Stiftung Deutsches Design Museum, dessen Vorsitz er 2020 übernahm. Im selben Jahr wurde er in den Beirat des Dieselkuratoriums berufen und setzt sich dafür ein, die Vorreiterrolle wirtschaftlich erfolgreicher Innovatoren zu stärken.
Zudem engagiert sich Lutz Dietzold für die verstärkt internationale Ausrichtung des Rat für Formgebung und seines weltweiten Netzwerks von führenden Unternehmen aus Industrie und Wirtschaft. Dazu zählt der Aufbau einer Tochtergesellschaft in China.
Lutz Dietzold veröffentlicht regelmäßig Beiträge und hält national und international Vorträge zu einer Vielzahl von Themen. Daneben ist er Mitglied in zahlreichen Gremien und Jurys sowie Projektbeirat des Bundespreis Ecodesign des Bundesumweltministeriums.
Dieser Beitrag erschien zuletzt auf ndion.de, der Content-Plattform der Rat für Formgebung, die Inhalte aus dem Spannungsfeld Design, Marke und Innovation vermittelt.