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Komfortables Wohnen im urbanen Raum

Immer mehr Menschen leben weltweit in Städten. In den attraktiven Ballungsräumen wird Wohnraum zunehmend knapp. Ebenso sind innovative Mobilitätskonzepte und neue Ideen für ein gesundes Leben gefragt, um den Bewohnern in der Stadt der Zukunft eine hohe Lebensqualität zu ermöglichen. Textile Inspiration und Beispiele bietet der Special Event „Urban Living – City of the Future“ auf der Techtextil und Texprocess.  Auch die Einrichtungsindustrie ist gefordert, ihre Produkte an die neuen Anforderungen des Wohnens anzupassen. Denn auf kleinerer Wohnfläche wollen die Bewohner bei ihren Möbel- und Einrichtungsgegenständen möglichst keine Abstriche machen. Die Redaktion von „GO“ fragte bei namhaften Trendexperten nach, wie das Wohnen auf engem Raum künftig funktionieren kann und welche Voraussetzungen die Möbel- und Einrichtungsunternehmen hierfür schaffen müssen.

Barbara Busse (Future+You): „Textiles wird die Welt revolutionieren“

Sollte die Prognose eintreten, dass im Jahr 2050 rund 70 Prozent der Menschen in Metropolen und Megacitys leben, werden wir weniger Platz in den Städten zur Verfügung haben, und Wohnraum wird exorbitant teuer. Entgegen dieser Prognose sehen wir, dass viele junge Kreative sich von den Städten abwenden. Dieser Trend nennt sich „City Quitters“ und wird immer stärker. Der „Diffusion of Innovation“ folgend, würde das bedeuten, dass es auf dem Land bald eng wird. Auf der anderen Seite werden wir erleben, dass laute und schmutzige Städte durch Elektromobilität leiser und sauberer werden.
Je digitaler jedoch die Umgebung wird, desto mehr gewinnen taktile Erfahrungen an Bedeutung. Das Thema „taktiles Branding“ ist stark im Kommen. Gleichzeitig sehen wir neben der „Experience“ auch funktionale Mehrwerte. Textiles wird die Welt revolutionieren, etwa bei Häuserfassaden. Die Firma Schüco hat textile Fassaden entwickelt, bei denen ich mir vorstellen kann, dass solche Fassaden zukünftig die Luft reinigen, Energie absorbieren oder speichern. In halböffentlichen autonomen Fahrzeugen werden antibakterielle Stoffe benötigt, die durch UV-Licht Schmutz zersetzen oder individuell die Farbe verändern ,wenn der Passagier wechselt.
Auf jeden Fall werden wir in den Megacitys sparsamer und multifunktionaler mit dem Wohnraum umgeben und in neuen Co-Living-Gruppierungen miteinander leben. Work-Life wird in den Ballungsräumen verschmelzen, und wir werden weniger reine Büros sehen und mehr offene Konzepte. Dazu wird es neue Formen des mobilen Wohnens geben. Automobilhersteller zeigen seit kurzem viele bewohnbare Konzeptfahrzeuge. Allerdings fernab von großen Wohnmobilen, hin zu mobilen Wohnhülsen.
Jeder große Trend hat einen Gegentrend: Die Menschen sehnen sich in einer zunehmend technisierten Welt wieder stärker nach der Natur. Das sogenannte „Biophilic Design“ ist darauf ausgelegt, die Menschen wieder mit der Natur in Kontakt bringen. Produkte und Dienstleistungen, die diesen Merhwert bieten, werden noch stärker nachgefragt werden.
Aber künftig wird es Einrichtungsunternehmen kaum mehr möglich sein, sich auf die immer spezielleren Lifestyle-Segmente einzustellen. Sie sollten sich daher weniger auf Themen wie Farbe und Funktion, sondern eher auf eine nachhaltige und vor allem digitale Strategie konzentrieren. Das heißt nicht zu versuchen, alles selber zu steuern, sondern flexible, digitale Plattformen und Maschinen bereitzustellen. Darin liegt die Zukunft. www.futureandyou.de

Christoph Riethmüller (DITF): „Qualitative Nachverdichtung mit smarten Textilien“

Das DITF Denkendorf beschäftigt sich bereits seit Jahren mit der zunehmenden Urbanisierung in der Welt. Denn die Thematik ist in Stuttgart nicht anders als in anderen Ballungsräumen der Welt, in Tokio oder Shanghai etwa. Wenn künftig mehr Menschen auf geringerem Raum leben wollen oder auch müssen, dann kommen auf den Städte- und Wohnungsbau große Herausforderungen zu. Eine qualitative und soziale Nachverdichtung ist hierbei eine zentrale Aufgabe. Unsere jüngsten Forschungsprojekte befassen sich dabei nicht nur mit Lösungen zur Gestaltung der Gebäude von außen, sondern auch mit Lösungen für Innenräume. Durch den Mangel an bezahlbarem Wohnraum in den Megacitys werden Räume künftig tiefer ausfallen, was wiederum geringeren Lichteinfall bedeutet. Aus Energie- und Lebensqualitätsgründen sollte dieser Mangel allerdings nicht nur durch Kunstlicht ausgeglichen werden. Das DITF hat daher textile Lösungen entwickelt, die das Tageslicht tiefer in den Raum leiten. In diesem Zusammenhang möchte ich unseren „ForschungsKubus“ erwähnen, bei dem anhand der Licht- und Wetterdaten der innere und äußere Sonnenschutz automatisiert geregelt oder mit dem Smartphone manuell eingestellt werden kann. Neue Beschattungstextilien können im Sommer zudem unangenehme Überhitzung effektiv reduzieren, trotzdem wird die Sicht nach außen nicht merklich eingeschränkt. Integrierte textile Sensoren messen dabei die Beleuchtungsstärke und steuern textilbasierte Aktoren, die die Beschattung abhängig vom Sonnenstand einstellen. Im Raum bleibt es auch ohne Lüftungssystem angenehm kühl.
In künftigen Megacitys werden auch Arbeiten und Leben näher zusammenrücken, um einen Zusammenbruch der Infrastruktur zu vermeiden. In immer höheren Häusern werden daher neben Leben und Wohnen auch Einkaufsmöglichkeiten vorhanden sein. Dieses Nebeneinander führt zwangsläufig zu einer höheren Geräuschbelastung, der wir vom DITF mit akustisch wirksamen Textilien entgegensteuern wollen. Auch werden die Textilien in kleineren Wohnräumen sowohl den Ansprüchen an einen Heimarbeitsplatz als auch an ein privates Wohlfühlambiente des Privatlebens genügen müssen. Wir könnten uns hier Textilien vorstellen, die Lichtszenarien (für Arbeit und Wohnen) und ihre ästhetischen Eigenschaften verändern können.
Bewohner von dicht bebauten Innenstädten wollen auch Natur spüren, etwa auf dem Balkon, aber auch in der Wohnung. Für sie haben wir daher autonome „Living Walls“ entwickelt, die für gute Luft sorgen und Lebensraum für Insekten bieten. Pflanzen werden hier in Vertikalen kultiviert, indem sie in textile Leichtbaustrukturen integriert sind. Integrierte textile Sensoren erfassen  für das Pflanzenwachstum wichtig Parameter und sorgen für eine bedarfsgerechte Bewässerung. Solche grünen Wände sind ein wesentlicher Punkt bei der qualitativen Nachverdichtung in vielen Ballungszentren, da sie für ein gutes Mikroklima sorgen. Aktuell testen wir in der Region Stuttgart das Feinstaubaufnahmevermögen von Mooswänden mit textilem Unterbau.
Dichter Wohnungsbau kann Schimmelbildung in Wohnungen zur Folge haben. Mit „MucorPrevent“ haben wir ein Armierungsgewebe entwickelt, das durch integrierte sensorische Garne die Gefahr der Feuchtigkeitsbildung in der Wand erkennt und durch integrierte Heizgarne den Schimmelbefall verhindert. Auch Brandschutz wird in den wachsenden Ballungsräumen eine größere  Rolle spielen müssen, wobei Textilien mit integrierten Sensoren eine große Bedeutung zukommen wird. www.ditf.de

Katrin de Louw (Trendfilter): „Textilien müssen Probleme der Stadt lösen können“

Die Städte werden sich neu erfinden müssen. Neben Mobilitätskonzepten, Versorgungskonzepten, Luftreinigungsideen, Müllkonzepten etc. ist der Wohnungsbau stark betroffen. Wohnraum muss bezahlbar bleiben. Siedlungen und Stadtteile sollten bunt gemischt sein, und das wird gegenwärtig in Deutschland zum Beispiel zu wenig umgesetzt. Alle Themen, die „die Welt“ interessieren, konzentrieren sich in der Stadt und werden dadurch oftmals auch zu einem größeren Problem in den Städten. Deshalb entstehen auch die Trends als erstes in den Städten – der Bedarf für Lösungen ist dort größer. Die schon jetzt absehbaren Folgen sind eine Verknappung des Wohnraumes, was wiederum zur Auflösung der Wohnungsstrukturen führt. Es wird dabei nicht nur stark geprüft, was man wirklich benötigt, sondern es entstehen Zonen in den kleinen Wohnungen: private und öffentliche oder auch „laute“ und „leise“, in denen verschiedene Tätigkeiten zusammengefügt werden, wie z. B. Wohnen, Kochen, Empfangen und Arbeiten/Spielen. Zimmerfunktionen schmelzen zusammen. Ein-Personen-Lösungen sind auch auf dem Vormarsch. Die Küche als solche steht auf dem Prüfstand. Viele Menschen im urbanen Raum werden sich fragen, ob sie eine eigene Küche brauchen.
Textilien werden an Bedeutung gewinnen, sowohl dekorativ als auch – langfristig gesehen – funktional. Skelettartige Architektur spart Raum, Material und Gewicht. Oftmals wird diese mit Hightech-Textilien bespannt. Wir kennen das schon aus der Automobilindustrie unter dem Schlagwort Leichtbau. Farben und Dessins werden sich nach Anwendungsgebiet richten. Im urbanen Raum, in dem viele Kulturen aufeinandertreffen, kann es dann schon mal bunt werden.
Unter den Stichworten Fair Trade, Ökologie und Nachhaltigkeit wird bei Textilien künftig verstärkt auf die Inhaltsstoffe und deren Herkunft geachtet. Auch die Entsorgung und Neuverwertung von Textilien wird zu einem großen Thema. Außerdem muss man schauen, wo Textilien auch Probleme der Stadt lösen können, z. B. Überhitzung und Luftverschmutzung.
Ich rate der Einrichtungsindustrie daher, einen Blick über den Tellerrand zu werfen. Jenseits unserer Branche gibt es die eingangs genannten Megatrends und noch einige mehr. Die Unternehmen sollten die großen Fragen der Menschheit aufnehmen und sich die Frage stellen, ob und was ihr Produkt dazu beitragen kann, das Leben in der Stadt und die damit entstehenden Herausforderungen zu meistern. Dann entstehen neue Innovationen, die wirklich gebraucht werden. www.trendfilter.net

Julia Greven (philla BrandXitement): „Unternehmen müssen vorausschauender agieren“

Die Städte werden nicht nur im Umfang größer, sondern verdichten sich auch zunehmend. Das hat Einfluss auf vielerlei: So werden clevere Infrastrukturen wichtiger, aber genauso Bauweisen, die den Raum effizienter nutzen und Ressourcen schonen. Eine gut funktionierende Nahversorgung sowie optimal ineinandergreifende Verkehrslösungen werden zunehmend gefragt. Zudem geht es darum, logistische Herausforderungen zu meistern, nicht nur die von Waren, sondern auch von Bauschutt und Abfällen. Wohn­flächen werden stetig kleiner und teurer. Gefragt sind daher multifunktionale Möbel, clevere Einbaulösungen für die „Tiny Spaces“ und z. B. energiesparende Smart-Home-Lösungen. Die Anforderung an praktischen Nutzen pro Quadratmeter werden künftig steigen. Im Jahr 2060 wird ein Drittel unserer Bevölkerung mindestens 65 Jahre alt sein - und jeder Siebte sogar 80 Jahre oder älter. Dies stellt nicht nur Deutschland vor große Herausforderungen, sondern auch andere Nationen, wie beispielsweise Japan. Keine andere Industrienation altert so schnell wie Japan. Die Alterung der Gesellschaft wird zu einem rasch wachsenden Bedarf an Begegnungs-, Freizeit-, Kultur-, Service- und Beratungsstellen führen. Denn die Kinder dieser Generation – insofern es sie überhaupt gibt – werden wegen der veränderten Arbeitswelt und Globalisierung häufiger an weit entfernten Orten wohnen oder/und Vollzeit erwerbstätig sein. Es braucht also mehr geriatrische und gerontopsychiatrische Einrichtungen in Krankenhäusern, mehr Alten- und Pflegeheime oder auch Mehrgenerationen-Wohnmodelle. Angesichts des steigenden Pflegebedarfs, des Outdoor-Trends und auch der zunehmenden technischen Innovationen wird der Markt für funktionale und smarte Textilien für Bekleidung, die Automobilindustrie, Sport, Medizin und Gefahrenschutz wachsen. Bereits jetzt werden in Krankenhäusern Textilien mit biozidwirkenden Silber-, Zink- oder Kupferpartikeln angereichert, um gefährliche Keime abzutöten und die Erregerübertragung zu minimieren. Im Bauwesen, der Architektur und im Interior Design werden smarte Textilien beim Membran- und Leichtbau, bei der Wärmedämmung, beim Sonnen- oder Brandschutz sowie im Bereich der Akustik und des Lichts verstärkt eingesetzt, so gibt es ja bereits Textilien mit integrierten LED Leuchten. Ich bin davon überzeugt, dass hier noch einiges an Innovationen kommen wird. Grundsätzlich gilt: Die Unternehmen müssen in sich immer schneller wandelnden Zeiten noch vorausschauender agieren und agiler werden, um sich in die Lage zu versetzen, flexibler auf Veränderungen und ihre Herausforderungen reagieren zu können. Dabei sollten sie nicht nur die Entwicklung innovativer Produkte, sondern auch deren mögliche Umweltbelastung bei der Entsorgung im Blick haben. www.philla.com

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