Heimtextil-Blognachrichten
Gast-Beitrag: Virtual Reality: Die große Chance für Architekten
Interview mit Joshua Burkert von Beyond Matter Studio
Wir haben Joshua Burkert, Gründer von Beyond Matter Studio, über das Potential in den neuen digitalen Technologien, über den Einsatz der Virtual Reality (VR)-/Augmented Reality (AR)-Technologien in der Architektur und deren Vor- und Nachteile zu Wort gebeten.
Finest Interior Award: Ein Studio für VR und digitale Visualisierung zu gründen entspricht dem Zeitgeist. Bisweilen gibt es jedoch nur wenige Unternehmen, die sich mit dieser Technologie auseinandersetzen. Was war Ihr Anstoß, Beyond Matter zu gründen und was kann man sich unter einer digitalen Agentur vorstellen?
Joshua Burkert: 2015 hatte ich zusammen mit Freunden ein VR-Start-Up gegründet, mit der Vision, einen digitalen Arbeitsplatz für VR zu entwickeln. In dieser Zeit stellte ich fest, dass man besonders Räume und Proportionen in VR fast genauso realistisch darstellen und auffassen kann, wie man sie im realen Leben wahrnimmt. Da gerade VR noch nicht sehr stark in der Werbe- und Visualisierungswelt verbreitet ist und dort eine Marktlücke existiert, entstand die Idee, mit einer digitalen Agentur, die den Fokus auf VR hat, jedem die Möglichkeit zu geben, dieses große Potential für seine eigenen Zwecke zu nutzen.
Wir nennen Beyond Matter eine digitale Agentur, denn neben dem Kernteam arbeiten wir mit vielen Freelancern aus unterschiedlichen Gebieten digital zusammen und stellen damit eine Art virtuelle Unternehmensstruktur dar.
VR und AR sind schon lange keine Science Fiction mehr. In welchen Lebensbereichen werden uns diese Technologien noch überraschen?
Ich bin fest davon überzeugt, dass VR und AR jeden Lebensbereich revolutionieren werden. Das beginnt im Bereich Produktivität, Entertainment, Education, Kommunikation bis hin zu Kultur und Wissenschaft.
Worin sehen Sie das größte Potential?
Neben der Möglichkeit, Objekte virtuell zu planen, bauen und zu betrachten, sogar bevor die Kosten für Produktion bzw. Umsetzung starten, sehe ich vor allem in Education ein riesiges Potential. Die Ausbildung kann mit Hilfe von VR deutlich interessanter und intuitiver gestaltet werden. Man stelle sich vor, Schüler könnten im Unterricht historische Ereignisse noch einmal hautnah miterleben oder fremde Kulturen und Länder vom Klassenzimmer aus besuchen. Außerdem wäre ein globales Schulsystem von zu Hause aus denkbar, sozusagen mit virtuellen Klassenzimmern.
Die VR/AR-Technologie findet bereits Einsatz in der Architektur. Auch Sie bieten VR-Lösungen in diesem Bereich an. Was wird Ihrer Hoffnung nach noch alles möglich werden?
Ich glaube, die virtuelle Welt wird in Zukunft mit Hilfe von optimierter Display-Technologie und verbesserten Input-Möglichkeiten noch weitaus realistischer werden als wir es uns vorstellen können. Aktuell ist die Frage, wie man sich in VR realistisch fortbewegen kann, noch eines der großen, ungelösten Probleme. Hier hoffe ich, dass es bald intuitive Möglichkeiten geben wird, sich zusammen mit dem Kunden durch eine virtuelle Architekturumgebung zu bewegen.
Welche Vorteile sehen Sie in der Anwendung von VR in der Architektur?
Zum einen bietet die immersive Darstellung in VR einen so täuschend realistischen Eindruck von einer Architekturumgebung, dass Architekten viel detaillierter und mit mehr Experimentierfreude an die Planung eines Projekts herangehen können. Es kann etwa der Lichteinfall zu verschiedenen Tageszeiten betrachtet werden, die Möblierung bereits geplant werden oder der zukünftige Blick aus dem Fenster simuliert werden. Und das alles, bevor man überhaupt begonnen hat, große Summen Geld auszugeben, um das Projekt umzusetzen. Zudem kann die intuitive, da realistische und räumlich dreidimensionale Darstellung einer Umgebung in VR dem Kunden viel präziser einen Eindruck vermitteln, wie ein Projekt letztendlich aussehen wird, als es ein Rendering auf einem 2D-Bildschirm könnte.
Und welche Nachteile?
Da VR zum jetzigen Zeitpunkt leider noch etwas in den Startlöchern steht und die Hardware deshalb noch nicht sehr verbreitet ist, können VR-Erlebnisse noch nicht von jedem beliebigen Kunden eigenständig von zu Hause aus betrachtet werden. Hier sind Showrooms aktuell noch der bessere Ansatz. Zudem ist die Entwicklung einer VR-Visualisierung noch deutlich aufwändiger, verglichen mit etwa klassischen 3D-Renderings.
Augmented Reality ist theoretisch in der Lage, die gesamte Realität, die wir wahrnehmen, so erscheinen zu lassen, wie wir es gerade wollen. Könnten wir nicht einfach in grauen Einheitsräumen leben und sie durch eine Brille gestalten wie wir wollen?
Vielleicht werden wir das in Zukunft tatsächlich auch machen. Wer weiß?
Für Menschen, die heute schon in kleinen Einheitsräumen leben oder um z.B. Astronauten den langen Weg zum Mars zu erleichtern, kann diese Vision vielleicht nicht früh genug kommen. Ein genauso weiter Weg wird es sein, bis gleichzeitig auch jedes haptische Gefühl, wie Geruch und andere sensorische Erlebnisse eins zu eins in die virtuelle Welt übertragen werden können.
Das Planen und das Einrichten werden mittels der VR/AR-Technologien für Laien immer einfacher. Angenommen Kunden werden durch VR-Apps selbst zu Architekten ihrer eigenen vier Wände. Wackeln durch die Digitalisierung die Grundfesten der Architektur-Branche?
Bereits heute gehen Kunden sehr informiert und aktiv an die Erstellung ihrer eigenen vier Wände heran. Und das ist gut so, denn umso aufgeschlossener und interessierter werden sie sein, wenn ihnen mit den neuen Möglichkeiten von VR und AR die Tür geöffnet wird, weitaus realistischer und detaillierter die eigenen vier Wände zu planen und bereits im Voraus zu betreten. Hier, denke ich, bietet VR jedoch auch die Chance für Architekten, bereits in der Planungsphase noch enger mit dem Kunden zusammenzuarbeiten und ihr professionelles und technisches Know-How einbringen zu können, um gemeinsam mit den Ideen der Kunden das Projekt zu realisieren.
Hand aufs Herz: Muss das Berufsbild Architekt neu gedacht werden?
Ich denke, dass es mit VR für Architekten sogar deutlich einfacher werden wird, Ideen und Experimente mit geringerem Risiko in der Planungsphase zu testen, um sie so dem Kunden realistischer vermitteln zu können. Das kann nur zu dessen Zufriedenheit beitragen.
Zur Person:
Joshua Burkert, 1989 in Urbana/Champaign geboren ist ausgebildeter Fotograf und Kameramann. Seit 2015 arbeitet er zudem im Bereich Virtual Reality. Joshua ist Founder von Beyond Matter Studio, einer digitalen Agentur mit Schwerpunkt auf VR.
Zu Beyond Matter Studio:
Beyond Matter ist ein Studio, das sich auf digitale Visualisierungen im Bereich 3D, VR und AR spezialisiert. Schwerpunkte sind hier die Bereiche Architektur, Real Estate Marketing, Product Design und Transportation.
Architekten müssen sich rüsten, damit sie auch in Zukunft noch eine Rolle spielen.
Besuchen Sie die nächste Heimtextil in Frankfurt am Main vom 9. bis 12. Januar 2018, auf der wir vom Finest Interior Award die große Frage stellen: “What’s real?”