hmmh | Neue Strategien
Weg vom Gießkannen-Prinzip

Greta Streit und Marcus Person sind Digitalisierungs-Experten bei der eCommerce-Agentur hmmh. Foto: hmmh

MM: Die Möbelbranche leidet – wie ist ihr aktueller Blick auf die Branche?

Marcus Person: Natürlich ist die Situation in der Branche nicht erfreulich, die prognostizierten Umsatzrückgänge werden sich sicher auch noch ins nächste Jahr ziehen. Ich glaube aber nicht daran, dass die gewohnte Rabattschlacht die richtige Antwort auf Inflation und Investitionsunsicherheit ist. Jetzt gilt es, die kaufbereiten Kunden genau dort abzuholen, wo sie stehen. Wir sehen noch viel Potenzial in der datenunterstützten Kommunikation und der Vernetzung von Off- und Online-Angeboten.

Greta Streit: Mich verwundert vor allem, dass es die Branche meiner Meinung nach bisher nicht schafft, ihr langjährig gewachsenes Wissen über ihre Kunden zielgerichtet für digitale Angebote zu nutzen. Die Digitalisierung der Branche dreht sich immer noch sehr um sich selbst, weniger um die Zielgruppe.

MM: Bleiben wir erstmal beim Buzzword „Digitalisierung“, welche drei Punkte sind für Sie unabdingbar?

Streit: Wie gesagt, der Fokus muss sich in Richtung Kunden verschieben, Strategien für die Ansprache, aber vor allem auch die Befriedigung von Anforderungen und Bedürfnissen sind ein Punkt. Dafür sollten interne Prozesse und Abläufe klar sein, und dann spielt natürlich die sinnvolle Verknüpfung aller Angebote, on- und offline, eine wichtige Rolle.

Person: Bei der Digitalisierung fängt ja heute kein Unternehmen mehr von vorne an. Es geht zuerst darum, die eigenen Prozesse auf Potenzial zu prüfen. Der zweite Schritt sollte dann die Formulierung einer Strategie sein, denn für die meisten Unternehmen ist es schlicht überfordernd, zu viele Baustellen gleichzeitig aufzumachen. Als dritten Punkt würde ich empfehlen, kleine Schritte zu gehen, den Erfolg zu messen und die Maßnahmen dann zu optimieren. Das Learning daraus ist ein unschätzbarer Wert für die folgenden Investitionen.

MM: Und wo sehen Sie in diesen Punkten noch Potenziale für die Branche?

Person: Jedes Wochenende wundere ich mich über die vielen Beileger in der Gratiszeitung. Diese Art der Kundenkommunikation ist für mich sinnbildlich in der Branche. Natürlich finden Kunden über diesen Impuls den Weg in die Filialen am Rand der Stadt. Ich bin aber auch überzeugt, dass die jahrelangen Rabattversprechen gegen das Vertrauen der Kunden einzahlen. Diese dort anzusprechen, wo sie sich inspirieren lassen und die Inspiration durch Themen wie Nachhaltigkeit, Qualität und Werte zu bestätigen, wäre so einfach, wenn man sich mit ihnen und ihren Bedürfnissen wirklich auseinandersetzen würde.

MM: Wie können die Kunden denn erreicht und besser abgeholt werden?

Streit: Natürlich geht es darum, möglichst nah an das von Marcus beschriebene Szenario „herausragende Services, tolles Angebot” heranzureichen. Das Sprichwort „der Kunde ist König“ gilt ja nach wie vor, nur muss es eben im wahrsten Sinne des Wortes viel diverser verstanden werden. Kunden sind in ihrem Anspruch viel individueller geworden, das Angebot deutlich breiter, da müssen dann natürlich Services, Informations- und Inspirationsmöglichkeiten auch vielfältiger sein und die unterschiedlichsten Bedürfnisse möglichst zielgerichtet treffen. Das ist on- und offline nicht leicht, da brauche ich ein tiefes Wissen über meine Kunden, ich brauche Daten.

MM: Wird also das Drumherum wichtiger als Produkt und Preis?

Person: Es wäre heute ja fast zynisch zu sagen, dass der Preis eine geringere Rolle spielt, aber eben auch nicht die einzige. Themen wie Nachhaltigkeit, Qualität und Image haben eine große Bedeutung, spielen aber in den Möbelhäusern bisher nur eine Nebenrolle.

Streit: Richtig. Und gerade in Bezug auf KI-Techniken zum Beispiel. In der Content-Erstellung, wird es entscheidend sein, sich über diese Themen auch gegenüber dem Wettbewerb zu differenzieren.

MM: Bei all der Technik, den Daten, dem Anspruch an maßgeschneiderte Funktionen, wie erreiche ich denn nun das Herz der Kunden?

Streit: Eigentlich ziemlich einfach, indem ich mir die Mühe mache, sie wirklich kennenzulernen und es wage, echte Beziehung einzugehen.

MM: Kunden haben unterschiedliche Bedürfnisse: Wie persönlich kann und muss der Möbelkauf sein?

Person: Wir haben uns vor zwei Jahren ein neues Sofa gekauft. Ich kann gar nicht sagen, wie emotional die Entscheidung für unsere Familie war. Wir hatten das Glück einer wirklich kompetenten Beratung, und trotzdem haben wir online konfiguriert, im Möbelhaus probegesessen und Stoffmuster mit Freunden beraten. Und am Ende haben wir dann noch das alte Sofa verabschieden müssen. Keine Anschaffung der letzten Jahre war emotionaler und persönlicher. Wir würden übrigens immer wieder bei diesem Händler einkaufen. Loyalität ist also auch immer etwas sehr Persönliches.

Streit: Gibt es etwas Persönlicheres als Möbel? Ich denke nicht. Schon allein deshalb muss der Entscheidungs- und Kaufprozess diesem Anspruch gerecht werden.


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