Experten-Slot Branchen Podium
Rat für Formgebung

Der folgende MÖBELMARKT-Experten-Beitrag wird Ihnen von Rat für Formgebung zur Verfügung gestellt. Form, Stil und Inhalt liegen allein in der Verantwortung der Autorin Ulla Weismüller. Die hier veröffentlichte Meinung kann daher von der Meinung der Redaktion oder des Herausgebers abweichen.

Expertenbeitrag: Trends in der Architektur 2021

Innovativer Holzbau und adaptive Wiederverwendung als Beiträge zur ökologischen Wende in der Architektur

Nachhaltigkeit ist vor dem Hintergrund des Klimawandels nicht mehr optional, sondern eine der zentralen Anforderungen innovativer Architektur unserer Gegenwart. Zwei Trends der diesjährigen ICONIC AWARDS: Innovative Architecture 2021 zeigen auf, wie die ökologische Wende gelingen kann. Erstens mit Holzbau, der sich inzwischen auch in großem Maßstab mehr und mehr durchsetzt. Eine Reihe von ausgezeichneten Projekten beweisen, dass nachhaltiges Bauen auch in urbanen Ballungsräumen funktionieren kann. Zweitens geht der Trend hin zur Wertschätzung des Vorhandenen. Um Baumaterialien – als einer der entscheidenden Faktoren von CO2 Belastung in der Branche – zu reduzieren, greifen Architekten weltweit auf Strategien des Re-Use, des Umbauens und Revitalisierens existierender Baustrukturen zurück.

Nachhaltige Stadt in Holzbauweise

Holz ist ein nachwachsender Rohstoff, bindet Kohlenstoffdioxid, lässt sich gut rezyklieren und einfach abfallverwerten, kurz: es ist ein Baumaterial mit hervorragender Ökobilanz. Architekturbüros, Holzwerkstätten und Kommunikationsagenturen zeigen mit je eigenen Zugängen auf, wie die Stadt der Zukunft aussehen kann.

Mit dem Projekt Sensations haben KOZ Architectes in Straßburg das größte Holzwohnhaus in Europa realisiert. Als Material sowohl für die 146 Wohnungen als auch die Erschließung wie Aufzüge und Treppenhäuser fand Brettsperrholz beziehungsweise CLT (cross-laminated timber) Verwendung. Da es in einem seismisch aktiven Gebiet liegt, kann das elf Stockwerke hohe Holzhaus auch als erstaunliche Ingenieursleistung gelten. Der rhythmisch gegliederte Baukörper zeigt sich als markante Position im Stadtraum, weit vorkragende Terrassen und Balkone geben den Fassaden zusätzliche Dynamik und bieten viel Lebensqualität für die Bewohner.

Nicht weniger spektakulär gibt sich Sawa von Mei architects and planners. Für das derzeit im Bau befindliche Projekt kommt ebenfalls CLT zum Einsatz, es wird nach Fertigstellung das erste vollständig aus Holz gebaute Wohngebäude Rotterdams sein. Der am Hafen stehende Turm mit 50 Metern Höhe ist nach oben hin kontinuierlich abgestuft und bietet auf den Plateaus in jeder Etage viel Platz für Grünflächen. Dies kommt sowohl dem Klima als auch der Biodiversität der Stadt zugute. Außerdem sind mehrere Bereiche für das Gemeinschaftsleben vorgesehen. 

Auch jenseits der großen Metropolen entstehen derzeit innovative Architekturen in Holz. Atelier Brückner haben im nordrhein-westfälischen Troisdorf zwei Neubauten – ein Kindergarten und das Pfarrzentrum – in Holz errichtet. Zusammen mit der bestehenden Kirche bilden sie das Stadttor Troisdorf als urbanen Treffpunkt. Im schweizerischen Gümligen haben Marazzi + Paul Architekten zwei dreigeschossige Wohnbauten entworfen, die sich gestalterisch und konstruktiv am traditionellen Berner Bauernhaus anlehnen. Das Mehrgenerationenhaus fördert mit durchlaufenden Balkonen den sozialen Austausch. Multifunktional stellt sich die hölzerne Workstation des in Budapest ansässigen Hello Wood Studios dar. Der modulare Mini-Raum kann schnell auf- und abgebaut werden. Nouri-Schellinger realisierten ein ökologisches Passiv-Zweifamilienhaus in Holzrahmenbauweise mit nachhaltigem Energiekonzept beim fränkischen Seenland. Und Jürgen Haller Architekten fügen sich beim Projekt Tempel 74 in Mellau mit sägerauen Holzfassaden in den traditionellen baulichen Kontext des Vorarlbergs ein. 

Ähnlich souverän nimmt auch das Turmhaus Tirol lokale Bautraditionen auf, eine Zusammenarbeit von Grünecker Reichelt Architekten und holzrausch. Das bayerische Unternehmen holzrausch hat sich auf die präzise handwerkliche Holzverarbeitung spezialisiert und aktualisiert traditionelle Ideen für die Zukunft. Dies zeigt sich auch im Messebau, wo es zusammen mit OHA auf der Expo 2019 geölten amerikanischen Nussbaum verwendete, um die Atmosphäre einer Hotelbar zu schaffen. 

Auch in der Küche hält das hochwertige Naturmaterial Einzug. Mit der Wandverkleidung Bossa stellt die Leicht Küchen AG eine neue Front vor, die im deutschen Küchenmarkt auf diese Weise noch nicht existiert. Sowohl in der Küche als auch im gesamten Wohnraum schafft sie eine neue Bildsprache. Einer hochwertigen Echtholzfront in den Furnieren Eiche oder Walnuss wird hierfür eine besondere Struktur verliehen: Vorstehende, lineare Stäbchen in 7,5 mm Breite und einem 5 mm Abstand zueinander verleihen dem Furnier eine feingliedrige, lebendige Wirkung. Das Gesamtraster der Stäbchen von 12,5 mm entspricht exakt dem Fugenbild von der Leicht Küche. Auf diese Weise gelingt eine einzigartige Verschmelzung von Küchen-, Wand- und Schrankfronten. 

Um Holz als innovatives Baumaterial weithin bekannt zu machen, ist Kommunikation eine wichtige Komponente. Die Agentur Stern hat für den Kunden Garbe in Hamburg ein Imagebook für das Projekt Roots entwickelt. Es dient der Vorvermarktung von Deutschlands höchstem Holzwohnhaus und zielt mit dem Kontrast aus rustikalem Karton und eleganter, goldener Heißfolienprägungen auf anspruchsvolle Kunden ab. 

Re-use und Revitalisierung von Bestandsbauten

Adaptive Wiederverwendung und Revitalisierung bestehender Bausubstanz ist eine wichtige Bedingung für die Reduzierung von Rohstoffen und damit CO2-Emissionen im Sinne eines nachhaltigen Bauens. Diese Strategien finden nicht nur in Europa immer mehr Anklang, sondern sind ein weltweit zu beobachtendes Phänomen.

Moguang Studio hat in der Stadt Beizhuang im Norden Pekings ein 5.000 Quadratmeter großes Industrieareal transformiert. In der ehemaligen Textilfabrik finden nun Indoorspielplätze und Lernräume für Jugendliche Platz, außerdem ein Restaurant und Familien-Unterkünfte. Die Architekten haben die ursprüngliche Anordnung der Fabrikgebäude beibehalten und die historische Substanz in einigen Bereichen dezidiert sichtbar gelassen, geben dem Areal mit spielerischen Einbauten wie den roten Rampen jedoch einen zeitgenössischen Anstrich, der gerade bei Kindern und Jugendlichen viel Attraktivität ausstrahlt.

Ganz behutsam ging Adamas Architect Ateliers beim Projekt Ogumo Casa Kyoto Machiya Guesthouse im japanischen Kyoto vor. Sie respektierten sowohl die äußere Gestalt des schlichten, alten Holzhauses als auch die innere Raumaufteilung, die sowohl aus kulturellen wie spirituellen Traditionen erwachsen ist. Die Maxime ging bis zur Reparatur des traditionellen Brunnens. So konnten die Architekten das historische Haus in jedem Detail für die Zukunft erhalten.

Das Rusted Mill House von Detale Architecture and Engineering im griechischen Ort Kardamyli ist ein restauriertes Bauernhaus aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Die von den Architekten geplante Erweiterung ist in COR-TEN-Stahl ausgeführt, welche den rustikalen Esprit des Ortes in eine zeitgenössische Formensprache überführt. Das in Rotterdam und Ankara ansässige Architekturbüro ONZ Architects verwandelte für ein Energieunternehmen eine verlassene Seifenfabrik in ein Forschungslabor. In dem zweistöckigen Steingebäude in Urla-İzmir kommen auf 1.200 Quadratmetern Technologien für künstliche Intelligenz auf global gehandelten Energiemärkten zum Einsatz. 

Die außergewöhnlichen Dimensionen des über 100 Jahre alten Gasspeichers macht sich Künstler Yadegar Asisi im Leipziger Panometer zunutze. Mit einem Durchmesser von 57 Metern und einer Kuppelhöhe von mehr als 49 Metern können dort die weltgrößten Bilder präsentiert werden. Seit 2003 zeigt der Künstler in dem Ziegelbau Panoramabilder in Verbindung mit zugehörigen Ausstellungen. Die Installation Carolas Garten ist die siebte 360-Grad-Installation Asisis. Sie spielt mit der Erwartungshaltung des vermeintlich Bekannten, einem herkömmlichen deutschen Garten. Die Kombination von Aufnahmen mittels Rasterelektronenmikroskop, klassischer Fotografie und der besonderen Raumarchitektur führt die Besucher jedoch über den Grenzbereich der natürlichen Wahrnehmung hinaus. 

Ursprünglich zum 50-jährigen Jubiläums des Stadtstaates Singapur erbaut und für diesen Zweck 2019 fertiggestellt, gilt der Bayfront Pavillon in Gardens by the Bay heute als Wahrzeichen Singapurs. Er dient weiterhin als Veranstaltungsort für öffentliche und kulturelle Veranstaltungen und bietet Besuchern gleichermaßen einen klimatisch angenehmen Außenraum wie auch ein außergewöhnliches visuelles Erlebnis, das einem Spaziergang unter tropischen Bäumen ähnelt. Der Pavillon folgt der Tradition baulicher Strukturen, die einen Dialog mit der Natur suchen. So verbindet sich die fließend perforierte Form mit den angrenzenden Gärten. 

Die Revitalisierung der Sparkassenhauptstelle in Singen durch GMS Architekten basierte auf dem Prinzip des Übereinanderstapelns von Gliederungselementen der Fassade in Anlehnung an die klassische Dreiteilung Sockel, Mittelzone und Dachaufbau, die horizontalen Schichten werden durch Vertikallamellen rhythmisiert. Der Bestandsbau konnte so nicht nur erhalten werden, sondern fügt sich nun außerdem sinnvoll in die heterogene umliegende Bebauung ein.

Die ICONIC AWARDS: Innovative Architecture

Mit den ICONIC AWARDS: Innovative Architecture prämiert der Rat für Formgebung das Zusammenspiel aller Disziplinen: herausragende Bauprojekte, innovatives Interior- und Produktdesign sowie überzeugende Kommunikationsleistungen im Kontext der Architektur. Der Wettbewerb stärkt den interdisziplinären Dialog und kommuniziert die Signifikanz von Architektur und Design in der internationalen Öffentlichkeit.

 
Dieser Beitrag erschien zuletzt auf ndion.de, der Content-Plattform der Rat für Formgebung, die Inhalte aus dem Spannungsfeld Design, Marke und Innovation vermittelt.

zum Seitenanfang

zurück