Logistik & Intralogistik
Viele Herausforderungen, noch mehr Lösungen

Erstmals in ihrer Geschichte hat die Logimat in diesem Jahr alle Hallen des Geländes am Stuttgarter Flughafen belegt. 1.280 Aussteller, über 10% mehr als im Vorjahr, waren zugegen. Während der drei Messetage kamen nach Angaben des Baseler Marktforschungsinstituts Wissler & Partner insgesamt 43.465 Fachbesucher – was einem Zuwachs um 23,8% gegenüber 2015 entspricht. Über 20% des Publikums reisten aus dem Ausland an. Von ihnen kamen 69% aus EU-Staaten, 17% aus dem übrigen Europa und 14% aus Übersee, Asien und dem nahen Osten.

Digitalisierung schafft neue Herausforderungen

Platzhirsche der Logimat waren auch 2016, neben den Gabelstapler-Produzenten mit ihren flächenintensiven Präsentationen in den Hallen 8 und 9, die Aussteller der Bereiche Fördertechnik, Regalbau, Lager- und Betriebseinrichtungen: Die Systembauer belegten mit ihren Produkten die Hallen 1, 3 und 5. Ebenso in Halle 5 und dazu in Halle 7 präsentierten IT-Entwickler ihre Software-Neuheiten, von Zollabwicklungs- hin zu Transportmanagementsystemen. Die Hallen 4 und 6 waren Kennzeichnungs- und Identifikationstechnik-Entwicklern und der Verpackungsbranche vorbehalten.

Ergänzend widmete sich in Halle 6 die „Trade World“ als Plattform für moderne Handelsprozesse zum nunmehr dritten Mal den  Herausforderungen des digitalisierten Handels. Denn: „Multichannel, Omnichannel oder vielmehr Cross Channel, also die kanalübergreifende Verknüpfung der Vertriebskanäle von Offline- und Onlinehandel, haben deutliche Auswirkungen auf das Zusammenspiel von Produzent, Handel, Dienstleister und Konsument“, führt Dr. Petra Seebauer, Geschäftsführerin der veranstaltenden Euroexpo Messe- und Kongress-GmbH und dort verantwortlich für die Trade World, aus. Vor allem die zunehmende Digitalisierung verändere gewachsene Strukturen „und stellt viele Unternehmen vor neue Herausforderungen“, so Seebauer weiter. Auf dem Trade World-Podium wurden auch für den Möbelhandel so virulente Themen wie „Ist die Logistik fit für die Trends des digitalen Handels?“ diskutiert.

Bauen für Ikea

Eine große Schnittstelle zur Möbelbranche war 2016 der Bereich Lager- und Regalbau. Der 10-Mio.-Euro-Coup der Unitechnik Systems GmbH aus Wiehl für das neue Logistikzentrum von Küchenbau-Primus Nobilia in Verl war eines der dominierenden Themen am Unitechnik-Stand: „Das ist in 2016 ganz klar unser wichtigstes Projekt und eines unserer größten überhaupt“, machte Geschäftsführer Wolfgang Cieplik gegenüber MÖBELMARKT deutlich. Kein Wunder bei diesen Kennzahlen: Das 8.700 qm große Lager dient der Kommissionierung von 600.000 Küchen pro Jahr und beinhaltet ein automatisches Hochregallager mit 8.000 Palettenstellplätzen und ein zentrales Kleinteilelager, das 1.600 Ein- und Auslagerungen pro Stunde bewältigen soll: „Alle zwei Sekunden kommt ein Teil raus, das ist der Hammer!“, macht Cieplik die Leistungsfähigkeit der Lösung plastisch. Es ist das erste Möbel-Projekt von Unitechnik, soll aber nicht das letzte sein. 

Bereits seit Längerem gute Geschäfte mit der Möbelbranche machen die Firmen Jungheinrich und LTW: Die LTW Intralogistics GmbH aus dem Voralberger Wolfurt hat den Einrichtungsgiganten Ikea auf drei Kontinenten begleitet und in 11 Ländern mehr als  220 Regalbediengeräte installiert. Eines der großen Projekte der letzten Jahre war der Ausbau des Ikea-Distributionszentrums für Mittel- und Osteuropa am Bahnterminal Wels in Oberösterreich: Nach knapp 20 Jahren Betrieb waren erste Engpässe bei der Ersatzteilversorgung aufgetreten. Gemeinsam mit dem Auftraggeber wurde 2008 die Modernisierung in Angrif genommen: Der Umbau ging in acht Wochen bei laufendem Betrieb über die Bühne.

Apropos Ikea: Mit 267 Einrichtungshäusern in 39 Ländern, 9.500 Artikeln, 1.220 Lieferanten, 43 Zentrallagern und 4 Millionen Kubikmetern Lagerraum sind die Schweden einer der größten Lagerhalter der Welt und haben ständig Expansionsbedarf, etwa in Osteuropa: Eine Firma, die durch ihre eigene Niederlassung und andere Projekte die Gegebenheiten in den früheren GUS-Staaten gut kennt, ist Jung-heinrich: Auf der Logimat waren die Hamburger auf einer Fläche von 800 qm der größte Aussteller und präsentierten ihre gesamte Bandbreite an Flurförderzeugen, Systemlösungen und IT-Hardware fürs Lager. Ein Projekt mit großer Strahlkraft ist das im Bau befindliche aktuelle Ikea-Projekt nördlich von Moskau: „Unser viertes Lager in Russland,“ berichtet Dirk-Jochen Wölfel, Head of Technical Project Hub ASRS (Europe/South America) bei der Jungheinrich Logistiksysteme GmbH, über das Vorhaben mit einem Wert im mittleren zweistelligen Millionen-Euro-Bereich: „Der Vertrag wurde im September letzten Jahres (2015) abgeschlossen, im August will Ikea die Bodenplatte an Jungheinrich übergeben und wir werden mit der Regalmontage beginnen.“  Das gigantische Lager in Silobauweise soll über 210.000 Stellplätze verfügen und wird mit 15 Regalbediengeräten bedient. Zwar handelt es sich bei dem Mega-Projekt um „den größten Einzelauftrag in unserer Unternehmensgeschichte“ und –nicht zuletzt wegen des namhaften Kunden – um „ein Leuchtturm-Projekt in Russland“, wie Wölfel ausführt. Dennoch fokussiere man bei Jungheinrich nicht explizit die flächenintensive Möbelbranche, denn: „Was nun auf den Paletten in das und aus dem Lager transportiert wird, ist letztlich für uns als internationaler Systemintegrator für Logistiksysteme egal“.

Wenn Simulation und Planung verschmelzen

Ein ganz anderes Projekt, das für die Möbelbranche interessant  sein könnte und ursprünglich in Kooperation mit der Österreicher Magna Steyr Fahrzeugtechnik für den Fahrzeugbau entwickelt wird, stammt von der Leonberger IPO Plan GmbH: das 4D-Planungswerkzeug „IPO.Log“.

Wenn es darum geht, in eine Fertigung neue Montagelinien zu implementieren oder neue Produkte auf bestehenden Linien zu integrieren, „spielt es keine Rolle, ob es um Fahrzeuge oder Möbel geht“, sagt Vertriebsleiter Tobias Herwig. „Viele Einflussfaktoren und Zusammenhänge“ machen große  Indus-trieprojekte „sehr komplex und undurchschaubar“. Diese Unwägbarkeiten soll „IPO.Log“ im Vorfeld minimieren, und zwar durch eine vernetzte Planung der Logistik zusammen mit der Produktion: „Der gesamte Materialfluss vom Wareneingang bis zum fertigen Produkt wird in der Software interaktiv planbar“, erläutert Herwig. Best practice für Industrie 4.0 im Sinne einer digitale Vernetzung aller an der Wertschöpfungskette beteiligten Einheiten, wenn Simulation und Planung miteinander verknüpft sind.

R2D2 und Herkules 

Alles andere als simulativ, sondern buchstäblich greifbar sind die Peformances der neuen Produkte des Fraunhofer-Instituts: Da lassen die Experten für Materialfluss und Logistik etwa eine Transportdrohne als knuffigen wie effektiven „R2D2 für Logistik“ durch Halle 1 sausen: Science Fiction war gestern! Noch ist das, nach Fraunhofer-Angaben höchst sichere wie energieeffiziente, Transportgerät nur für kleine und leichte Güter bis zu 700g ausgelegt, könnte aber dank seiner Flexibilität  – diese Drohne  kann fliegen und rollen  – „zum ständigen Begleiter und Helfer in allen logistischen Prozessen“ werden, betont Professor Michael ten Hompel, geschäftsführender Institutsleiter am Fraunhofer IML. 

Wesentlich mehr stemmen können da Lager- und Speditionsmitarbeiter, wenn sie in naher Zukunft das Exoskelett des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung IPA anlegen: Es unterstützt nicht nur den Träger unterstützt, sondern lässt auch schnelle und intuitive Bewegungen zu. An Ellenbogen und Schultern haben die Fraunhofer-Experten Antriebsmodule integriert, die Bewegungen mit hohem Drehmoment unterstützen. Eine Freilaufkupplung erlaubt dem Träger außerdem, sich frei zu bewegen – selbst, wenn der Motor ausgeschaltet ist.

An der Schulterpartie ist eine Gelenkkette mit fünf Rotationsachsen angebracht: „Sie folgt der Schultergelenkgruppe in jede Position. Das Antriebselement sitzt also immer dort, wo die Schulter gerade ist“, erläutert vom Fraunhofer-Entwickler David Minzenmay. Auf diese Weise werden komplexe Bewegungen in drei Richtungen ermöglicht, nach oben, hinten und innen. Um den Rücken zu entlasten, wurde eine externe Wirbelsäule aus flexiblen Stäben eingebaut: „Dadurch werden die Kräfte auf die Hüfte oder den Boden abgeleitet, die Rotation und Flexion aber nicht eingeschränkt“, berichtet Minzenmay. 2017 wollen die Wissenschaftler Praxis-Tests durchführen. Langfristiges Ziel: die Entwicklung eines Modulkastens für unterschiedliche Einsatzgebiete. Gut möglich, dass Exoskelette zukünfitg nicht nur Wirbelsäulen von Lagermitarbeitern und Lieferanten schützt, sondern auch Zweimann-Handling teilweise überflüssig macht, wenn der Träger zum „Herkules“ mutiert.

„Retail 4.0“ verändert alles

Schon längst im Hier und Jetzt angekommen ist die Firma Wanko, die in Halle 9 ihr System für integrierte Be- und Entladescannung auf Basis von Telematik-Apps vorstellte und eine automatisierte Tourenoptimierung für Same-Day-Delivery-Konzepte im Großhandel entwickelt hat. Vertriebler Alexander Fuchs ist mit dem Messeverlauf höchst zufrieden und freut sich über zahlreiche Anfragen aus Osteuropa.

Eine andere Softwareschmiede, die Pforzheimer Ecos System GmbH hat sich dem mittelständischen Versandhandel verschrieben: „Promo“ – Akronym für „Professional Mail Order“ – ist eine Windows-basierte betriebswirtschaftliche Software für  Online-Händler „als Werkzeug zur Steuerung der unternehmensinterner Prozesse“, erklärt Projektmanager Andreas Stängle.  Einzelne Komponenten und Unternehmensbereiche seien perfekt aufeinander abgestimmt und können dank interierten Steuer- und Anpassungsmöglichkeiten flexibel angepasst werden. Integrierte Werkzeuge wie ein Report- und Formulargenerator, ein Daten- und Maskeneditor oder auch ein individueller Programmcode werden im Standard ausgeliefert, erklärt Stängle das „schlanke, aber umfassende“ Produkt, das unter anderem vom Hannoveraner Büro- und Laden-Ausstatter  Zill genutzt wird.

Ein grundsätzliches Anfordungsprofil für Versandsysteme ist im unserer digitalisierten Welt völlig branchenunabhängig Flexibilität, denn „die  Ansprüche  der  Konsumenten  verlaufen parallel zur technischen Entwicklung“, stellte, Dr. Volker Lange vom Fraunhofer IML als Moderator des Trade-World.Forums „Die  Zukunft des Handels“ fest. Er spricht – analog zum Begriff der Industrie 4.0 von „Retail 4.0“, der von „rasanter technologische Ent-wicklung“ und „hoher Dynamik auf allen Märkten“ geprägt werde, was das  tradierte Rollenverständnis von Industrie, Handel und  Konsument verändere.

Die Intralogistiker und Logistiker werden auf der nächsten Logimat (14.-16. März 2017) viele neue Lösungen für die wachsenden Herausforderungen anbieten – wie sie die Möbel-Branche nutzen wird, wird die Zukunft zeigen.

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