Kahla
Wie geht es weiter?
Zwei Krisen und viele Chancen: Wie der Porzellan-Trendsetter Kahla die Weichen für die Zukunft stellt, erläutert Holger Raithel, seit 2005 Geschäftsführender Gesellschafter der Kahla/Thüringen Porzellan GmbH, im Interview. Dabei geht es im Detail um Krisenbewältigung, Digitalisierung und Chancen des Produktionsstandorts Deutschland.
Erst die Anmeldung der Insolvenz in Eigenverwaltung und dann unmittelbar danach der Corona-Lockdown: Wie geht ein Markenartikelhersteller in Thüringen mit dieser doppelten Last um? Inwiefern sind Sie betroffen?
Holger Raithel: Ich bin sehr froh und dankbar, dass weder die Mitarbeitenden noch deren Familien persönlich von Covid-19 betroffen sind. Wir hatten bereits im Februar die ersten
Schutzmaßnahmen eingeführt, als ein großes Vertriebsteam zur Ambiente, der weltweit größten Konsumgütermesse, nach Frankfurt reiste. Uns ist es dank Verhaltensregeln, Aufklärung, Umstrukturierung der Schichtwechsel und Einrichtung von Homeoffice-Arbeit gelungen, die Ansteckung oder den Ausbruch der Krankheit zu vermeiden und Familien mit Kindern ein wenig zu entlasten.
Wie haben die Arbeitnehmer auf die Veränderungen reagiert?
Raithel: In den vergangenen Wochen haben das gegenseitige Verständnis, die Rücksichtnahme, Hilfsbereitschaft und Einsatzbereitschaft einen echten Sprung erlebt. Wir sind agiler, flexibler, transparenter und digitaler geworden. Eine extrem schnelle Transformation für einen Porzellanhersteller mit beachtlicher Tradition und langjährigen Mitarbeitern! Das Work-Life-Blending, sprich die Vermischung aus Lebens- und Arbeitszeit, wird von den zahlreichen Elternteilen im Unternehmen meist hervorragend gemeistert. Ich bin ausgesprochen stolz auf meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Die ökonomischen Auswirkungen des Lockdowns dürften problematischer sein. Wer kauft denn noch preisgekrönte Designprodukte aus deutscher Fertigung, wenn alle Restaurants und Geschäfte geschlossen sind?
Raithel: Als der Lockdown entschieden wurde, hatten wir noch einen beachtlichen Auftragsüberhang, den wir produzieren konnten. Leider schlossen viele Restaurants, Möbel- und Warenhäuser mit ihren Ladenlokalen ebenso ihre Warenannahme. Allerdings erlebten wir ein starkes Wachstum unserer Online-Umsätze. Wir verlagerten in der dritten Lockdown- Woche unseren jährlichen Ostermarkt, der üblicherweise im Werksverkauf in Kahla statt- findet, in unseren Onlineshop www.kahla-porzellanshop.de und luden unsere Kunden zum ersten virtuellen Schnäppchenmarkt ein. Wir zählten 12.000 Besucher – viel mehr als zum klassischen Markt – und erzielten mit attraktiven Angeboten, Geschenken und Designobjekten den besten Online-Wochenumsatz des laufenden Jahres. Wer jetzt mehr Zeit zuhause verbringt, mehr für die Familie kocht und Muße zum Dekorieren hat, interessiert sich für neues Porzellan. Davon konnten wir profitieren.
Mittlerweile sind der Werksverkauf in Kahla, der Flagship-Store in Berlin und die Outlets in den Outlet-Centern wieder geöffnet. Kann das Online-Geschäft die Verluste aus dem Einzelhandel und der Gastronomie kompensieren?
Raithel: Nein. Ich bin offen für jede positive Überraschung, aber das Minus im Einzelhandel, in Waren- und Möbelhäusern lässt sich nur schwer wieder komplett aufholen. Für Kahla zahlt es sich jetzt aus, dass mein Vater mit der Neugründung das Unternehmen auf vier stabile, internationale Säulen gestellt hat: Haushaltsporzellan, gastronomisches Geschirr, individuelle Werbemittel und Auftragsproduktion. Kahla individualisiert Porzellan mithilfe von patentierten Technologien von einem Stück – Losgröße 1 – bis mehrere Millionen Stück. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal, in das wir lange vor Corona investiert haben. Einige Händler und Distributoren zeigen sich äußerst solidarisch und platzieren gerade jetzt neue Aufträge, um uns durch die schwere Zeit zu helfen.
Was können Kunden von Kahla in diesen Tagen erwarten? Läuft die Produktion?
Raithel: Ja, sie läuft. Bis Ende April konnten wir mit voller Auslastung produzieren. Aber wir müssen flexibel bleiben und jeden einzelnen Tag neue Entscheidungen hinsichtlich des Arbeits- und Produktionsvolumens treffen, das natürlich vom Auftragseingang abhängt. Unsere Lager sind gut gefüllt und wir freuen uns auf zahlreiche Bestellungen, auch aus
der Gastronomie, die sehr faire Einkaufskonditionen erwarten darf. Dank "Made in Germany"-Strategie kann Kahla während der Corona-Krise mit hervorragender Qualität und zuverlässiger Lieferung punkten.
Glauben Sie an einen Aufschwung deutscher oder europäischer Erzeugnisse, nachdem viele Unternehmen unter den Abhängigkeiten von Zulieferern und Pro- duzenten während der Corona-Krise leiden mussten?
Raithel: Ja, ich bin davon überzeugt, dass alle Unternehmen weltweit ihre Lieferketten und Geschäftsmodelle in diesen Tagen überprüfen. Wir erhielten Anfragen von Importeuren, die nach Einfuhrschwierigkeiten chinesischer Lieferungen über den Einkauf von in Deutschland gefertigter Qualitätsware nachdenken. Kahla lieferte beispielsweise bisher erfolgreich nach China und Korea. Multifunktiona- les Design, Sorgfalt und Liebe zum Detail, Tradition und Innovation vereint in einer Marke: Das beeindruckt auch Konsumenten in Fernost. Der barrierefreie, globale Handel bleibt für alle deutschen Hersteller zwingend notwendig.
Wie überzeugen Sie den weltweiten Markt von einem Premiumprodukt im mittleren Preissegment, weder Luxusgut, noch Billigimport?
Raithel: Unsere Gesellschaft lernt gerade schmerzlicher denn je zuvor, wie wichtig Werte wie körperliche und seelische Gesundheit, gesellschaftlicher Zusammenhalt, ökologisches Handeln und Umweltschutz sind. Ich bin fest davon überzeugt, dass es für ein familien- freundliches Unternehmen, das den nachhaltigen Umgang mit Ressourcen, den Einsatz natürlicher Rohstoffe, Nachwuchsförderung und regionale Fertigung als Zentrum seiner Marken-DNA definiert, eine Zukunft gibt. Mit der „Kahla pro Öko“-Strategie sind wir einzigartig in unserem Markt. Wir produzieren mit unserer eigenen Photovoltaikanlage Strom aus Sonnenenergie, recyceln unser Brauchwasser und haben erst kürzlich eine Wärmerückgewinnungsanlage in Betrieb genommen. Die moderne Ofentechnologie reduziert den CO2-Ausstoß maximal. Die Günther-Raithel-Stiftung kümmert sich um junge Künstler, Keramiker und De- signer, die wir regelmäßig zu uns einladen. Das ist nicht nur sozial, sondern auch visionär. All diese Investitionen dienen der Zukunft – von Menschen, die in einer besseren und natürlich auch schöneren Welt leben sollen.